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+ | ====== Textbeiträge 2017 ====== | ||
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+ | An dieser Stelle veröffentlichen wir Texte und Debattenbeiträge. Einen XML Feed für aktuelle Texte und Termine stellen wir unter https:// | ||
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+ | ===== Dezember ===== | ||
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+ | ==== Im Gespräch mit, über oder gegen rechts ==== | ||
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+ | Gegen rechts wird auch pädagogisch einiges unternommen – das war bei IVA bereits im Juni Thema (siehe „Pädagogik gegen rechts“, Texte2017). Man soll ins Gespräch kommen, heißt es neuerdings, dabei aber schwer aufpassen, mit wem man es zu tun hat und wie stilvoll die Diskussion ist. Dazu ein Kommentar von Johannes Schillo. | ||
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+ | Zuletzt rief der Bundespräsident in Dresden bei einer Veranstaltung der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung dazu auf, Rechtsextremismus in der Gesellschaft klar zu benennen, wobei „die Wiedergewinnung der Gesprächsfähigkeit“ und vor allem das „direkte Gespräch“ jenseits aller sozialen Netzwerke wichtig sei (vgl. Schillo 2017). Denn, so Steinmeier, es gebe leider „keine Gespräche miteinander. Alles, was inhaltlich dringend notwendig wäre, diese demokratische Kontroverse, | ||
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+ | Freerk Huisken hat diese These bereits in mehreren Veröffentlichungen ausgeführt, | ||
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+ | Woher der Ausgrenzungsbedarf rührt und wie er im pädagogischem Feld auftritt, ist auch Thema der neuen Arbeitshilfe „Gegen Rechts argumentieren lernen“ von Rolf Gloël, Kathrin Gützlaff und Jack Weber (2017). Die Publikation bietet in der Hauptsache einen Argumentationsleitfaden, | ||
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+ | **Ausgrenzen oder drüberstehen? | ||
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+ | Gerade die inhaltlichen Gemeinsamkeiten, | ||
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+ | „Dieses Buch sprüht förmlich vor Geist und Witz“, hieß es in der //Zeit// (19.10.2017), | ||
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+ | So heißt es schon im Klappentext, | ||
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+ | Diese Pseudo-Auseinandersetzung ist typisch für eine Reihe von Veröffentlichungen, | ||
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+ | Kay Sokolowsky hat sich in einem Frontalangriff auf die „neue Volkspädagogik“ über die Idee ereifert, man könnte „mit Nazis reden“ (Sokolowsky 2017, 20f). Die „Alternativdeutschen“, | ||
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+ | Wo Sokolowsky sich auf den Leitfaden von Leo, Steinbeis und Zorn einlässt, trifft er durchaus einzelne Mängel. So behaupten die drei Sprachspezialisten allen Ernstes, dass die Radikalisierung von Rechten das Ergebnis einer missglückten Gesprächssituation sei. „Wenn ich sehe“, zitiert Sokolowsky Ko-Autor Leo nach einem Interview mit der //SZ//, „wie zivilisierte Rechte höflich ihre Standpunkte darstellen und dann Nichtrechte in herablassender, | ||
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+ | **Oder argumentieren? | ||
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+ | Dieser antifaschistische Furor macht natürlich auch Front gegen eine inhaltlich Stellung nehmende | ||
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+ | Es gibt natürlich auch Veröffentlichungen, | ||
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+ | Bei Hufer kommt allerdings auch wieder eine grundlegende Skepsis im Blick auf den Sinn des Argumentierens zur Sprache. Die Stammtischparole sei ein „Stellvertreterbegriff für eindeutige weltanschauliche, | ||
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+ | Bei Hufer heißt es: „Gegen vorurteilsbeladene, | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Klaus Ahlheim u.a., Argumente gegen den Hass – Über Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Arbeitshilfen für die politische Bildung. Zwei Bände. Bonn 1993. | ||
+ | * Klaus Ahlheim/ | ||
+ | * Jürgen Beetz, Auffällig feines Deutsch – Verborgene Schlüsselwörter eines Parteiprogramms. Aschaffenburg 2017. | ||
+ | * Frank Bernhardt/ | ||
+ | * Klaus-Peter Hufer, Argumentationstraining gegen Stammtischparolen – Materialien und Anleitungen für Bildungsarbeit und Selbstlernen. Schwalbach/ | ||
+ | * Freerk Huisken, Ausländerfeinde und Ausländerfreunde – Eine Streitschrift gegen den geächteten wie den geachteten Rassismus. Hamburg 1987. | ||
+ | * Freerk Huisken, Der demokratische Schoß ist fruchtbar… Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus. Hamburg 2012. | ||
+ | * Rolf Gloël/ | ||
+ | * Per Leo/ | ||
+ | * Johannes Schillo, Das „direkte Gespräch“ – mit, über, gegen rechts? Auswege-Magazin, | ||
+ | * Paul Schreyer, Kontaktverlust oder: Wenn unbequeme Bücher „verschwinden“. NachDenkSeiten, | ||
+ | * Kay Sokolowsky, Auf kein Wort – Mit Nazis reden? Zurückweisung einer Zumutung. In: Konkret, Nr. 12, 2017, S. 20-21. | ||
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+ | ===== November ===== | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 9 ==== | ||
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+ | Marx hatte in der Hauptsache zwei Erben, die Sozialisten/ | ||
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+ | Die chinesische KP reagierte rasch und bot der Stadt Trier Ende 2016 das Geschenk einer überlebensgroßen Marx-Statue an, die sogar die Porta Nigra, das Wahrzeichen der Stadt, zu überragen drohte. Nach einigen Kontroversen im Stadtrat – Grüne und AfD sprachen sich gegen die Annahme des Geschenks aus – fiel die Entscheidung, | ||
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+ | Natürlich war das für die hiesige Öffentlichkeit eine Gelegenheit, | ||
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+ | Nichts Besonderes zu berichten gibt es für die hiesigen Medien aus Moskau, der Heimat des Marxismus-Leninismus. Das Putin-Regime hat das offizielle Gedenken an die Oktoberrevolution und damit natürlich auch an den Marxismus abgeschafft. Es überlässt das gnädiger Weise der russischen KP, deren Gedenkveranstaltungen in diesem Jahr „freilich auch deutlich weniger kommunistisch als vielmehr russisch-patriotisch“ ausfielen (Lauterbach 2017). Der russische Staat ist dabei nicht ganz ausgemischt: | ||
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+ | **Wer braucht Marx?** | ||
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+ | Als seriös gelten in der hiesigen Öffentlichkeit dagegen Veranstaltungen und Events, wie sie die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Träger des Karl-Marx-Hauses in Trier und damit an der Großen Landesausstellung 2018 maßgeblich beteiligt, im Programm hat. Am 22. November 2017 startete die SPD-nahe Stiftung an der Bonner Universität eine Ringvorlesung, | ||
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+ | Ähnlich zweideutig fiel Meyers Antwort auf die von ihm gestellte Frage aus. Er äußerte sich zunächst süffisant, aber zutreffend zur jüngsten Wiederentdeckung des Klassikers der Arbeiterbewegung – eine Renaissance, | ||
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+ | Mit der Bildersprache vom „Raubtierkapitalismus“ ist aber schon der Weg gewiesen, die Marxsche Analyse dann doch wieder zu verabschieden. Das Raubtier ist entlaufen, also muss es erneut eingefangen und angekettet werden. Wenn das geschieht, dann werden sich auch wieder die idyllischen Verhältnisse einstellen, wie sie im rheinischen Kapitalismus der Adenauerära und überhaupt in den „westlichen Gesellschaften in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg“ geherrscht haben sollen – in Zeiten nämlich, als, laut Meyer, der Kapitalismus „den größten Teil seiner Versprechungen tatsächlich eingelöst (hatte): hoher Lebensstandard, | ||
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+ | Das ist schon ein bemerkenswertes Fazit! Nach 100 bis 150 Jahren Reformismus lässt sich der theoretische wie praktische Bankrott der Sozialdemokratie bilanzieren. Macht aber nichts, es heißt schlicht und ergreifend: auf ein Neues! Das Projekt soll wieder aufgelegt werden, jetzt aber wirklich ernsthaft und ganz konsequent im Sinne des sozialdemokratischen Ideals. Als dessen Statthalter tritt die Stiftung auf, die sich die Partei praktischer Weise auch noch hält, um neben der Finanzierung diverser Aufgaben die Strahlkraft der eigentlichen Werte („sozialdemokratischer Kompromiss“, | ||
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+ | Dafür muss man nur noch die Marxsche Theorie, die im ersten Schritt als hellsichtig gelobt wurde, im zweiten Schritt als obsolet oder fehlerhaft beiseite legen. Bei Meyer geschieht das dadurch, dass entschieden vor ihrer „Heiligung“ und „Dogmatisierung“ (ebd., 8) gewarnt wird. Im Klartext: Ernst nehmen darf man sie nicht, interessant finden schon. Für die Befeuerung des heutigen sozialdemokratischen Projekts, das letztlich auch auf Marx zurückgeht – so jedenfalls Meyer in seiner „Theorie der sozialen Demokratie“ (2005, 94) –, kann man z.B. an sie erinnern. Wenn das jubiläumshalber geschieht und Aufmerksamkeit findet, sowieso. Man muss für die Neuauflage des besagten Kompromisses nur noch die Geschichte der Arbeiterbewegung umdeuten, etwa die Verhältnisse in der Nachkriegs-BRD, | ||
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+ | **Vom Ge- und Missbrauch** | ||
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+ | Meyers Auftakt der Bonner Vorlesungsreihe bestätigte, | ||
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+ | Denkbar wäre natürlich, dass man nach der „unerwarteten Finanzkrise von 2008 unter Umgehung aller drei genannten Haupttraditionslinien des Marxismus einen direkten Rückgriff auf Motive der Kritik der politischen Ökonomie“ versuche, denn „auf analytischer Ebene scheinen viele der marxschen Einsichten über die Motive die kapitalistisch verfasste Ökonomie auch heute noch – oder vielmehr gerade heute besonders – des Pudels Kern zu treffen.“ (Ebd., 26f) Aber das scheint eben nur so: Die Analyse des „Kapital“ ist definitiv veraltet! Dafür muss Meyer, wie er in seinem Aufsatz vorführt (was die Vorlesungsreihe im Einzelnen erbringt, bleibt abzuwarten), | ||
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+ | Egal, es soll die Menschen das Fürchten lehren und dann natürlich das Hoffen, dass es tapferen Sozialdemokraten endlich gelingt, das Monster zu domestizieren. Irgendwie passt das auch ins Superwahljahr 2017 mit seinem beispiellosen Niedergang der großen Volkspartei SPD. Sie muss jetzt in der Opposition ihr oppositionelles Profil schärfen – vielleicht aber auch, so die neuesten Meldungen, durch Regierungsmitverantwortung stärker sichtbar machen. „Wir müssen wieder den Mut zur Kapitalismuskritik fassen“, heißt es vom Partei-Vorsitzenden Schulz (//Die Zeit//, 18.10.2017). „Kapitalismus-Kritik gehört zur DNA der SPD“, betont Fraktionschefin Nahles und präzisiert gleich, wie das gemeint ist: Man müsse dem US-dominierten digitalen Kapitalismus Paroli bieten, „die Ideologie des Silicon Valley verfolgt eine andere Idee als unsere soziale Marktwirtschaft“ (//Bild am Sonntag//, 21.10.2017). Neuerdings muss die SPD sogar konstatieren, | ||
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+ | Die Juso-Vorsitzende Uekermann gibt sich, wie üblich, radikaler und kündigt den Ausbau von Kapital-Lesekreisen bei der Parteijugend an (vgl. Brandt u.a. 2017). Und die Friedrich-Ebert-Stiftung tritt als der natürliche Nachlassverwalter des Marxschen Lebenswerks auf, über dessen Gebrauch und Missbrauch sie befindet. Da macht die Konrad-Adenauer-Stiftung, | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Peter Brandt u.a., Was uns Karl Marx heute noch zu sagen hat – Gespräch mit Peter Brandt, Michael Brie und Johanna Uekermann. In: Neue Gesellschaft/ | ||
+ | * Hanjo Kesting, „… worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ – Rückblick auf das Kommunistische Manifest. In: Neue Gesellschaft/ | ||
+ | * Reinhard Lauterbach, Peinliches Erbe – Wie Russland heute an die Oktoberrevolution erinnert. In: Junge Welt, 1.11.2017. | ||
+ | * Thomas Meyer (mit Lew Hinchmann und weiteren Mitarbeitern), | ||
+ | * Thomas Meyer, Der Kapitalismus und seine Kritik – Brauchen wir eine Marx-Renaissance? | ||
+ | * Thomas Meyer, Vom Gebrauch und Missbrauch des Marxismus. In: Neue Gesellschaft/ | ||
+ | * Johannes Pennekamp u.a., Das Marx-Business. In: Frankfurter Allgemeine Woche, Nr. 18, 2017. | ||
+ | * Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert. München 2014. | ||
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+ | **Internet** | ||
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+ | //Große Landesausstellung in Trier//: https:// | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 8 ==== | ||
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+ | Die Marxsche Analyse der kapitalistischen Produktionsweise – schlichtweg „a failure“ (Stedman Jones), ein Dokument des Scheiterns? Vor allem deshalb, weil die zu Grunde liegende „Arbeitswerttheorie“ längst widerlegt und aus der Wissenschaft ausgemustert ist? Dazu ein weiterer Kommentar der IVA-Redaktion. | ||
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+ | Marx-Widerlegungen sind fester Bestandteil der gegenwärtigen Marx-Renaissance, | ||
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+ | **Wissenschaftliche Fehlleistung? | ||
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+ | Einschlägige Rückblicke auf Marx, die dessen Fehler und Fehlleistungen hervorheben, | ||
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+ | Finsterbusch referiert u.a. den aktuellen Stand der Zurückweisungen am Fall der Arbeitswerttheorie. Er bezog sich dabei – dem modernen Meinungsbetrieb entsprechend – auf die maßgeblichen Positionen des wissenschaftlichen Pluralismus. Dort hat z.B. Hans-Werner Sinn, der vielleicht wichtigste deutsche Wirtschaftswissenschaftler, | ||
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+ | Laut Sinn ist die Marxsche Erklärung der Ausbeutung nicht haltbar, da schon die Arbeitswerttheorie grundlegende Mängel aufweise: „Zu Marx’ größten wissenschaftlichen Fehlleistungen gehört die Arbeitswerttheorie…, | ||
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+ | Bei der – traditionsreichen – Zurückweisung der Arbeitswerttheorie erstaunt zunächst die pure Ignoranz gegenüber den Marxschen Schriften. Was z.B. Herrmann als „Transformationsproblem“ einführt, ist Teil des Argumentationsgangs im „Kapital“. Marx will ja gerade vom Produktionsprozess im Allgemeinen, | ||
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+ | Eine einfache Übung ist es natürlich auch, wie Sinn und Plumpe demonstrieren, | ||
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+ | Hinzu kommt, dass gleich im ersten Fall mit dem Hinweis auf den Maler Rembrandt eine absolute Ausnahmesphäre, | ||
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+ | Im zweiten Fall soll die Widerlegung eine andere Sondersphäre leisten, die auch kein Normalbeispiel der Warenproduktion ist, sondern sich aus der imperialistischen Benutzung und Alimentierung „unterentwickelter“ Regionen sowie der Einrichtung eines Weltenergiemarktes ergibt. Hier hängt die Preisbildung in letzter Instanz von staatlichen Eingriffen (Steuern und Abgaben) ab, die dort anfallen, wo der Rohstoff als Ware in die individuelle und produktive Konsumtion eingeht, also der Akkumulation an einem Kapitalstandort die Grundlage verschafft. Interessant übrigens, dass der Wirtschaftsexperte Sinn die Lohnhöhe für unerheblich erklärt. Aus dem Normalfall der Vernutzung von Lohnarbeit, die als variables Kapital dem Produktionsprozess zugeführt wird, kennt dagegen jeder die Forderung der Unternehmer, | ||
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+ | Dass solche Marx-Widerlegungen zum Standardrepertoire gehören, zeigt auch die große Biographie von Gareth Stedman Jones (2017), die schon in „Marx is back“, Vol. 7, erwähnt wurde. Die Biographie kommt „zu dem nicht ganz unoriginellen Schluss, dass jenes Buch, das neben Bibel und Harry Potter immer noch mit den höchsten Gesamtauflagen und der größten Zahl an Übersetzungen überhaupt aufwarten kann, ‚a failure‘ sein soll: ein Fehler, Manifestation eines biografischen und theoretischen Scheiterns, politisch ein Schuss in den Ofen“ (Eiden-Offe 2017, 67). Die Biographie – das wäre hier nachzutragen – verbleibt nicht einfach im Rahmen der lebensgeschichtlichen Details, sondern widmet sich, der Profession des Autors gemäß, auch der Ideengeschichte. Dabei spielt die Arbeitswerttheorie eine besondere Rolle, denn, so der angelsächsische Biograph, Marx habe sie von Ricardo gestohlen und anschließend verballhornt. Das ist ein absurder Vorwurf. Marx hat sein Opus explizit „Kritik der politischen Ökonomie“ genannt. Die Bezugnahme auf die Klassiker dieser Disziplin, auf Smith, Ricardo u.a., war sein Ausgangspunkt; | ||
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+ | Der Wirtschaftshistoriker Patrick Eiden-Offe ist Stedman Jones’ Enthüllungen im Einzelnen nachgegangen und bringt triftige Einwände gegen diese Art der Widerlegung. Er hält übrigens auch fest, dass „diese Anamnese der Genese des Marx’schen Werks“ bei aller Sorgfalt nichts Neues zu bieten habe: „Nach einer ersten Sichtung der nur im Nachlass überlieferten Grundrisse hat Roman Rosdolsky in seiner monumentalen Studie //Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital“// | ||
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+ | Eiden-Offe erinnert zudem daran, dass „die Aufarbeitung der Vorgeschichte des //Kapital// im Osten“ Wesentliches zur Entstehungsgeschichte beigetragen habe, dass also in der Sowjetunion, | ||
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+ | **Die Theorie des Werts** | ||
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+ | Angesichts solcher Begriffsverwirrungen und seltsamen Entdeckungen soll im Folgenden ein Literaturhinweis nachgetragen werden, die legendäre „Arbeitswerttheorie“ betreffend. Der Terminus kommt im „Kapital“ übrigens nicht vor, die Sache natürlich schon. Wenn man sich von marxistischer Seite dazu Aufklärung holen will, empfiehlt sich als Einführungsschrift „Das Geld“ von Wolfgang Möhl und Theo Wentzke (2007). Die Veröffentlichung will in den ersten Kapiteln eine „Verständnishilfe für Marx’ ominöse ‚Arbeitswertlehre‘“ (ebd., 8) liefern. Sie erinnert auch an die früheren Bemühungen – vor allem der westdeutschen Linken –, sich mittels methodologischer (Vor-)Überlegungen zur „Kapital“-Lektüre Aufschluss über die Theorie zu verschaffen. Eine Anstrengung, | ||
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+ | Eine derartige philosophisch oder methodologisch angeleitete Lektüre will auf Fragen nach der Möglichkeit von Wissenschaft und Erkenntnis überhaupt hinaus, statt die von Marx vorgelegten Erkenntnisse zu überprüfen. Letzteres ist der Vorschlag von Möhl und Wentzke. Sie halten das „Kapital“ nicht für eine tendenziell unverständliche Schrift, deren Lesern erst durch eine propädeutische Hinführung oder Kommentierung der Zugang eröffnet werden müsste. Ihr Buch will auch die Lektüre des Originals nicht ersetzen, im Gegenteil, es rät dazu. Es bemüht sich nur, den verbreiteten Missverständnissen mit einer Konzentration aufs Wesentliche entgegenzutreten. Das ist die Intention des Hauptteils. Es geht dann aber darüber hinaus und bringt einen historischen Exkurs zur deutsch-deutschen Währungsunion des Jahres 1990, die den Anschluss der DDR an die BRD einleitete. Hier wird also ein Fall verhandelt, den Marx natürlich nicht – wie so vieles andere im 20. Jahrhundert – voraussehen konnte, nämlich die Tatsache, dass der reale Sozialismus in seiner Planwirtschaft eine „bewusste Anwendung des Wertgesetzes“ praktizieren wollte und dazu sein eigenes Zahlungsmittel schuf. | ||
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+ | Das eigenartige Vorhaben führte dazu, dass die Ware-Geld-Beziehung in dieser alternativen Wirtschaftsordnung erhalten blieb, jedenfalls so lange, bis Westdeutschland mit seinem Geld, der weltweit geachteten DM, die Beziehung dann wieder vom Kopf auf die Füße stellte, also wirkliches Geld statt der realsozialistischen Planungs- und Verrechnungsgröße in Kraft setzte. Der Exkurs macht sich die Mühe, die Rolle des Geldes in Plan- und Marktwirtschaft zu vergleichen – und damit noch einmal das von Marx entwickelte Wertgesetz zu verdeutlichen. Das letzte Kapitel des Buchs widmet sich dann einem Thema, das über die Rekapitulation der Werttheorie weit hinausgeht: nämlich dem Geld des Staates in der Welt des modernen Imperialismus. Das ist eine notwendige Fortsetzung, | ||
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+ | Die Autoren bestehen auch darauf, dass sich die Marxsche Analyse nicht in einer Untergangsprognose erschöpft. Marx habe gerade konstatiert, | ||
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+ | Mit der hier vorgestellten Einführungsschrift erspart man sich, wie bemerkt, nicht die Lektüre der betreffenden Passagen im „Kapital“. Aber sie leistet – gegen die zahlreichen Fehldeutungen und schon rein inhaltlich fehlgehenden Referate des Gemeinten – eine erste Orientierung darüber, womit man es bei der besagten Theorie des Werts zu tun hat. | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Peter Decker (und Redaktionskollektiv), | ||
+ | * Patrick Eiden-Offe, Der alte Karl Marx. In: Merkur, Nr. 817, 2017, S. 66-75. | ||
+ | * Stephan Finsterbusch, | ||
+ | * Michael Heinrich, 150 Jahre „Kapital“ – und kein Ende. Unsystematische Anmerkungen zu einer unendlichen Geschichte. In: PROKLA, Nr. 188, Oktober 2017, S. 421-434. | ||
+ | * Ulrike Herrmann, Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung – Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir heute von Smith, Marx und Keynes lernen können. Frankfurt/ | ||
+ | * Ulrike Herrmann, „Das Kapital“ und seine Bedeutung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
+ | * Karl Marx, Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie“. In: Marx Engels Werke MEW), Bd. 19, Berlin 1973, S. 355 - 383 (zit. als MEW 19). | ||
+ | * Karl Marx, Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. In: Marx Engels Werke, Band 23, Berlin 1977 (zit. als MEW 23). | ||
+ | * Karl Marx, Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie. Zweiter Band. In: Marx Engels Werke, Band 24, Berlin 1971 (zit. als MEW 24). | ||
+ | * Karl Marx, Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. In: Marx Engels Werke, Band 25, Berlin 1983 (zit. als MEW 25). | ||
+ | * Karl Marx, Theorien über den Mehrwert. In: Marx Engels Werke, Band 26, Teil 1-3, Berlin 1976 (zit. als MEW 26). | ||
+ | * Wolfgang Möhl/Theo Wentzke, Das Geld – Von den vielgepriesenen Leistungen des schnöden Mammons. München 2007. | ||
+ | * Philip Plickert, Der falsche Prophet. In: FAZ, 30.6.2017. | ||
+ | * Werner Plumpe, „Dies ewig unfertige Ding“ – „Das Kapital“ und seine Entstehungsgeschichte. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
+ | * Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital“ – Der Rohentwurf des Kapital 1857-1858. Band 1 und 2. 2. Aufl., Frankfurt/ | ||
+ | * Johannes Schillo (Hg.), Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie. Hamburg 2015. | ||
+ | * Hans-Werner Sinn, Was uns Marx heute noch zu sagen hat. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
+ | * Gareth Stedman Jones, Karl Marx – Die Biographie (Originalausgabe: | ||
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+ | ===== Oktober ===== | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 7 ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Was war eigentlich Marx für einer – als Mensch betrachtet? Der biographische Unfug, bei der Würdigung eines Theoretikers nicht dessen Erkenntnisse, | ||
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+ | Wenn der Gehalt der Marxschen Theorie heute wieder ernsthaft zur Diskussion stünde, müsste es unerheblich sein – so hieß es schon in „Marx is back“, Vol. 5 (IVA, Texte2017) –, wie das Privat- und Liebesleben, | ||
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+ | **Marx – der Rückwärtsgewandte** | ||
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+ | „Biografien zu Marx sind zahlreich, und es kommen immer neue, umfänglichere hinzu. Die jüngsten von ihnen, die maßgeblichen darunter angelsächsisch, | ||
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+ | Steinfeld hatte seine Kritik an Sperber auch schon in einer ausführlichen Rezension in der //SZ// formuliert: „Sperbers Biografie, so detailliert und sachlich sie erscheinen mag, hat eine polemische Spitze. Sie ist gegen jeden Versuch gekehrt, aus den Marx’schen Schriften etwas für die Gegenwart lernen zu wollen… Die zentralen Kategorien der marxistischen Lehre: die Arbeit und das Eigentum, der Mehrwert und das Kapital, der Markt und die Ware, finden sich in dieser Biografie an den Rand gerückt.“ (Steinfeld 2013) Steinfeld hielt zudem fest, dass diese Schieflage eine logische Folge des biographischen Ansatzes ist: Jede Etappe in der Entwicklung der Theorie wird unter diesem Blickwinkel zu einer biographischen Episode, im Werk spiegelt sich der Urheber. Die Person sei aber nicht von Belang. Es sei auch ein Abweg, sie umgekehrt als „leere Autorität“ aufzubauen, die gegen andere recht hatte. Vielmehr müsse es darum gehen, sich die Erkenntnisse anzueignen. | ||
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+ | Das denunziatorische Interesse der biographischen Herangehensweise ist auch anderen Autoren aufgefallen, | ||
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+ | Ähnliches war in der //FAZ// über die andere große Biographie von Gareth Stedman Jones zu erfahren. „Karl ist ein Träumer. Und er wird es sein Leben lang bleiben. Vor allem in den letzten Jahren seines Lebens… Marx’ Interessen folgten seinen Launen und den Moden der Zeit. In der Jugend waren es die Literatur, die Juristerei, die Religionskritik und die Philosophie. Später konzentrierte er sich auf die Ökonomie. Mit Wissenschaft hatte das nicht allzu viel zu tun.“ (Hank 2016) So resümierte Rainer Hank, Wirtschaftsredakteur der //FAZ//, das Ergebnis der biographischen Forschungen von Stedman Jones, Professor der Ideengeschichte an der Queen Mary University in London, der übrigens Marx in seinem fast 900 Seiten dicken Opus penetrant beim Vornamen nennt (von wegen „Kind“ seiner Zeit!). Die Einordnung des Kapitalismuskritikers als Repräsentant einer verflossenen Epoche erscheint dem Fachmann aus der Wirtschaftsredaktion im Grunde plausibel. „Marx muss man aus der Zeit verstehen, oder man versteht ihn gar nicht. Ihn aus seiner Zeit zu verstehen, heißt aber: Karl Marx war und blieb ein Romantiker, was keine Abwertung ist… Nirgends wird das deutlicher als in seinen späten Schriften, wo er wieder ganz zum rückwärtsgewandten romantischen Träumer wird. Den ersten Band des ‚Kapitals‘ hatte Marx vollendet; an einem zweiten oder dritten Band zur Fortsetzung hatte er, wiewohl versprochen, | ||
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+ | Hank hält Stedman Jones zugute, dass er die romantische Grundposition des (pseudo-)wissenschaftlichen Kommunisten belegt habe – Weltfremdheit als Signum der Zeit, verbunden mit humanistischen Impulsen und gewissen Idealen von Gemeinschaftlichkeit, | ||
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+ | **Marx – der Vorwärtsgewandte** | ||
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+ | Wenn man Ingo Elbe folgt, hat auch die vor Jahren erschienene Biographie von Francis Wheen (2002) nicht mehr zu bieten. Sie tritt demnach nicht gleich wie die beiden genannten Werke mit dem Interesse der Zurückstufung und Historisierung an, gibt sich auch Mühe, gegen die Zerrbilder aus den Zeiten des Kalten Kriegs und des verordneten Antikommunismus einige wohlwollende Elemente in die Beurteilung des „Menschen Marx“, so der Hauptgegenstand des Buchs, einzuführen. „Dennoch ist man nach der Lektüre eher um viele Anekdoten reicher als um einen Deut klüger.“ (Elbe 2002) Auf über 500 Seiten erfährt man „buchstäblich nichts über Marx’ Kritik der Formen des gesellschaftlichen Reichtums (Ware, Geld, Kapital, Recht und Staat), nichts darüber, dass erst seine Theorie diese als nur scheinbar naturgegebene Tatsachen dechiffriert und damit der menschlichen Gestaltungs- und Veränderungskompetenz zugänglich macht.“ (Ebd.) | ||
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+ | Aber wie gesagt, in diesem Zusammenhang muss man differenzieren. Im September 2017, auf den Tag genau 150 Jahre nach Erscheinen des „Kapital“, | ||
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+ | Die Stärke von Neffes Buch liegt darin, dass es sich von der Kammerdiener-Perspektive löst und im Grunde eine intellektuelle Biographie liefert, also dem Werdegang der Theorie nachgeht. Dazu ist in die beiden Hauptteile jeweils ein umfangreicher Theorieblock eingefügt (Kapitel 8: „Die Entwicklung der Marxschen Gedankenwelt“ und Kapitel 23: „Das Kapital – eine Schauergeschichte“). Der Lebenslauf gibt natürlich auch hier den roten Faden ab, dieser Blickwinkel wird nicht aufgegeben. Es bleibt abzuwarten, ob Michael Heinrich, der ebenfalls eine Marx-Biographie angekündigt hat, dem noch viel Neues hinzufügen kann. Da seine Arbeit allerdings auf drei Bände angelegt ist – der erste soll Anfang 2018 erscheinen –, wird sie natürlich weiter ausholen können. Nur bleibt ihr dann auch nichts anderes übrig, als sich auf dem mittlerweile ziemlich breit getretenen biographischen Pfad zu bewegen und in diesen Rahmen die Erkenntnisse zur Kritik der kapitalistischen Produktionsweise einzufügen. | ||
+ | |||
+ | Der //Spiegel// hat Neffes Buch eine Rezension gewidmet, die an die breite biographische Aufarbeitung seit Franz Mehrings erster großer Darstellung aus dem Jahr 1918 erinnert (vgl. Mehring 1976). Mehrings letztes großes Werk war im Zuge der Auseinandersetzungen der sozialistischen Bewegung entstanden, hatte insofern einen anderen Ausgangspunkt als Neffes Arbeit. Dass solche Vorarbeiten aber zu einer „fast unüberwindbaren Schwierigkeit“ für die Nachgeborenen geführt haben sollen – „Mit Marx lässt sich nicht unbefangen umgehen“ (Leick 2017, 8) –, ist nicht einleuchtend. Neffe demonstriert das Gegenteil. Er geht immer wieder auf solche Vorläufer ein und ist durchaus in der Lage, dem Leser die Unterschiede zwischen Marxschen Positionen und daran anschließenden Interpretationen deutlich zu machen. Sein Resümee der Marxschen Ökonomiekritik würdigt die // | ||
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+ | Der //Spiegel// wollte auch nicht am 150. Jahrestags des Erscheinens von Band 1 des „Kapital“ vorbeigehen und griff dafür passender Weise – die Redaktion sitzt ja in Hamburg – die Veröffentlichung „Karl Marx in Hamburg“ von Jürgen Bönig (2017) auf. Marx hatte sein „Saubuch“, | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Jürgen Bönig, Karl Marx in Hamburg – Der Produktionsprozess des „Kapital“. Hamburg 2017. | ||
+ | * Ingo Elbe, Menscheln mit Marx – Bemerkungen über die freundliche Entsorgung der Marxschen Theorie (Rezension zu Wheen, Karl Marx). 2002. Online: https:// | ||
+ | * Rainer Hank, Karl Marx: Ein echter Romantiker (Rezension zu Stedman Jones, Karl Marx). In: FAZ, 11.9.2016. | ||
+ | * Ilona Jerger, Und Marx stand still in Darwins Garten. Roman. Berlin 2017. | ||
+ | * Gerd Koenen, Ein revolutionärer Denker sieht aber anders aus (Rezension zu Sperber, Karl Marx). In: FAZ, 26.5.2013. | ||
+ | * Gerd Koenen, Die Farbe Rot – Ursprünge und Geschichte des Kommunismus. München 2017. | ||
+ | * Roman Leick, Doppelcharakter (Rezension zu Neffe, Marx). In: Literatur Spiegel, Oktober 2017, S. 8-9. | ||
+ | * Franz Mehring, Karl Marx – Geschichte seines Lebens (1918). In: F.M., Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1976. | ||
+ | * Jürgen Neffe, Marx – Der Unvollendete. München 2017. | ||
+ | * Jonathan Sperber, Karl Marx – Sein Leben und sein Jahrhundert. München 2013. | ||
+ | * Gareth Stedman Jones, Karl Marx – Die Biographie (Originalausgabe: | ||
+ | * Thomas Steinfeld, Leere Autorität (Rezension zu Sperber, Karl Marx). In: SZ, 1.8.2013. | ||
+ | * Thomas Steinfeld, Der Herr der Gespenster – Die Gedanken des Karl Marx. München 2017. | ||
+ | * Barbara Supp, „Dieses Saubuch“ – Vor 150 Jahren ist es in Hamburg erschienen: „Das Kapital“… In: Der Spiegel, Nr. 39, 2017, S. 72-79. | ||
+ | * Francis Wheen, Karl Marx (Originalausgabe: | ||
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+ | ===== September ===== | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 6 ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Aktualität wird heute nicht nur der Marxschen Ökonomie-, sondern auch der Religionskritik bescheinigt. Dabei bleibt allerdings von Anliegen und Gehalt der materialistischen Auseinandersetzung mit dem Jenseitsglauben nicht viel übrig. Näheres dazu in einem Kommentar der IVA-Redaktion. | ||
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+ | „Die Religion gewinnt in den letzten Jahren gesellschaftspolitisch wieder an Bedeutung. Da wäre beispielsweise die Tea-Party-Bewegung in den USA... In Lateinamerika stellt das evangelikale Christentum eine zunehmend einflussreiche soziale Bewegung dar... In Teilen Afrikas stehen evangelikal-christliche Kräfte mit der Verfolgung von Menschen aus der LGBT-Community in Verbindung. In Frankreich mobilisieren rechte Gruppierungen Hunderttausende, | ||
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+ | Diesen Trend kann man nicht bestreiten. Im Zuge der antiislam(ist)ischen Feindbildpflege hat aber nicht nur Religion, sondern auch Religionskritik, | ||
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+ | So kommt gerade unter Marxisten – wie die Zeitschrift //Das Argument// 2012 in einer dem Schwerpunkt Religion gewidmeten Ausgabe exemplarisch vorführte (vgl. Schillo 2015) – eine Absage an die Religionskritik des jungen Marx in Umlauf. Nicht mehr die Religion soll Kritik verdienen, sondern der Götzendienst des Mammons, der Tanz ums goldenen Kalb, den der Kapitalismus veranstalte und der gerade vom Standpunkt des abendländischen Monotheismus aus verwerflich sei, ja durch Kirchenmänner wie Papst Franziskus oder – in historischer Perspektive – den Reformator Luther am Entschiedensten bekämpft werde (vgl. Segbers/ | ||
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+ | **Das Ende der Religionskritik** | ||
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+ | Man kennt dies als populären Argumentationstrick: | ||
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+ | Letztere wird übrigens teilweise (siehe Haug 2016) als eine schiefe Kombination von zwei Aufsätzen des jungen Marx vorgenommen, | ||
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+ | Marx hat also die Auseinandersetzung mit der Religion nicht fortgeführt. Die für ihn erledigte Aufgabe legte er beiseite, wandte sich der Ökonomie zu und sah hier das Projekt seiner | ||
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+ | Bei Jens Rehmann, der gerade auf die Umkehrung des Verhältnisses von Religion und Kritik hinaus will, erscheint dagegen der Fortgang der Analyse, die sich auf einen neuen Gegenstand richtet, als Relativierung des theoretischen Ausgangspunkts: | ||
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+ | Alles ist dem zu Folge vielgestaltiger, | ||
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+ | In diesem Zusammenhang kann man natürlich auch – wenn schon an die lateinamerikanischen Aufbrüche von vorgestern erinnert wird – den Vorwurf des Eurozentrismus erheben. Das geschieht | ||
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+ | **Zurück zum höheren Wesen** | ||
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+ | Zum Marx-Jubiläum wird von verschiedenen Seiten diese seltsame Umwidmung der Religionskritik | ||
+ | - Kern beschwert sich über eine „Marx-Scholastik“, | ||
+ | - Für den oben genannten Taschenspielertrick, | ||
+ | - Kern bringt dann wieder ausführlich eine Sache zur Sprache, die er für ein Argument hält: Es hat in der Tat seit der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts diverse Kontakte, Verbindungen, | ||
+ | |||
+ | Kern ist auch, trotz aller Beschwörung von Gemeinsamkeiten, | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Dick Boer, Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik – Biblisch-theologische Notizen zum 'Ende der Religion' | ||
+ | * Rolf Bossart, Die Rettung der Religionskritik vor ihren Verfechtern. In: Das Argument, Nr. 299, 2012, S. 683-692. | ||
+ | * Wolfgang Fritz Haug, Karl Marx‘ Metakritik der Religionskritik. In: Das Argument, Nr. 320, 2016, S. 861-879. | ||
+ | * Christoph Henning, Philosophie nach Marx – 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie in der Kritik. Bielefeld 2005. | ||
+ | * Günter Kehrer, Stichwort „Theologie/ | ||
+ | * Bruno Kern, „Es rettet uns kein höh’res Wesen“? Zur Religionskritik von Karl Marx – ein solidarisches Streitgespräch. Ostfildern 2017. | ||
+ | * Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie – Einleitung/ | ||
+ | * Karl Marx, Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Marx-Engels-Werke, | ||
+ | * Tadzio Müller, Politische Religion als neue Avantgarde? In: Luxemburg, September 2014, online: http:// | ||
+ | * Jens Rehmann, Für eine ideologietheoretische Erneuerung marxistischer Religionskritik. In: Das Argument, Nr. 299, 2012, S. 655-664. | ||
+ | * Johannes Schillo, Die Aktualität der Marxschen Religionskritik. In: J.S. (Hg.), Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie, Hamburg 2015, S. 131-149. | ||
+ | * Johannes Schillo, Mit Luther, Marx & Papst contra Kapitalismus? | ||
+ | * Franz Segbers/ | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 5 ==== | ||
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+ | Das Interessanteste beim aktuellen Marx-Jubiläum scheint die Privatperson zu sein – diese verkrachte bürgerliche Existenz aus dem 19. Jahrhundert. Zwar sehr gelehrt, doch offen gesagt: als Familienmensch ein autoritärer Sack, voll von „wütendem Antisemitismus“ und mit null Ahnung in puncto Gender Mainstreaming. Dazu ein Kommentar der IVA-Redaktion. | ||
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+ | Was Marx für ein Mensch (bzw. Unmensch) war, müsste – wenn der Gehalt seiner Theorie heute wieder ernsthaft zur Diskussion stünde – unerheblich sein. Das Bedürfnis, seinem Privat- und Familienleben nachzusteigen, | ||
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+ | Im neuesten Marx-Roman von Ilona Jerger „Und Marx stand still in Darwins Garten“ (2017), den Ullstein zum Spätsommer herausgebracht hat, wird der Ertrag biographischer Nachforschungen und entsprechender Interpretationen vom Standpunkt der Political Correctness zu Beginn des 21. Jahrhunderts anschaulich zusammengefasst. Demnach hat man es bei Marx mit einem zerrissenen, | ||
+ | |||
+ | Jüngst hat der Soziologe Hans Jürgen Krysmanski übrigens in einer ebenfalls leicht romanhaft angelegten „Ideensammlung für einen Spielfilm“ (Krysmanski 2014, 9), auf authentisches Material gestützt, die letzten Monate des alten Revolutionärs rekonstruiert, | ||
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+ | **Marx – der destruktive Atheist** | ||
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+ | Das Bild von Marx als einem Menschen, der die (jüdische) Religiosität in sich abtötet und dies auch seinen Kindern vorschreibt, | ||
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+ | In Weissweilers Buch ist Marxens Ablehnung der jüdischen Religiosität – neben der Missachtung feministischer Anliegen – das Leitmotiv. Die Biographin schreibt über die jüngste Marx-Tochter: | ||
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+ | Weissweilers Biographie „Tussy Marx“ (2002) will, so die Ankündigung des Klappentextes, | ||
+ | |||
+ | Der Eindruck //muss// niederschmetternd gewesen sein. Das ist der Beweis der Biographin! Ein Vater, der sein ethnisch-religiöses Erbe in sich auslöscht und diese Leerstelle seinen Kindern aufzwingt, muss einen Vater-Tochter-Konflikt, | ||
+ | |||
+ | Diese religionskritische Position, die den Atheismus nicht einfach als eine weitere weltanschauliche Strömung versteht – als sittlich hochwertigen Standpunkt, der, wie moderne Agnostiker und Konfessionslose betonen, neben den bestehenden Religionsgemeinschaften seinen Platz im Pluralismus finden muss –, ist auch Jerger ein Dorn im Auge. Sie zielt mit ihrem Roman vor allem auf dieses weltanschauliche Defizit. Sexismus und Antisemitismus spielen bei ihr eine untergeordnete Rolle. Letzterer wird ganz in der Art Weissweilers als selbstverständliche Tatsache mitgeteilt, so wie es heute vom grünen Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik bis zur rechten Szene Konsens ist. Im Trierer Stadtrat gab es ja Anfang 2017 bezeichnender Weise von den Grünen und der AfD Protest gegen die Aufstellung einer Marx-Statue, | ||
+ | |||
+ | In Jergers Roman wird die neugestaltete Figur der frommen Helene dafür eingesetzt, das religiöse Defizit deutlich zu machen. Als Vertreterin des einfachen Volks weiß sie, woher die Misere im Marxschen Haushalt rührt. Sie beklagt, „dass es in dieser Familie an Gott fehlt.“ (Jerger 2017, 55) Im Gespräch mit dem (erfundenen) Arzt Beckett äußert sie: „Wissen Sie, Herr Doktor, ein bisschen Frömmigkeit würde nicht schaden. Bei all dem Unglück! Es wird einem so kalt ums Herz, wenn man auf gar nichts hoffen darf.“ (Ebd.) „Keine Hoffnung mehr zu haben quält mich, besonders jetzt, wo wir alt werden… Der Himmel ist leer. Hat Mohr einmal gesagt. Wenn das stimmt, kommt mir das schlimmer vor als die Hölle… Ein wenig Gottesfurcht könnte auch Mohr nicht schaden.“ (Ebd.) Als wollte die Autorin Marx‘ Diktum von der Religion als Opium des Volkes bebildern, muss die trostreiche und aufbauende Funktion des Jenseitsglaubens beschworen werden, eben von einer Frau aus dem Volk. Ja, wenn‘s hart auf hart kommt, wenn‘s ans Sterben geht oder der Torwart Angst vorm Elfmeter hat, ist ein Stoßgebet oder ein Kreuzzeichen immer noch der nächstliegende Rettungsanker. | ||
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+ | Helene Demuth gibt in dem Roman auch die Kronzeugin für Marx‘ Antisemitismus ab. So berichtet sie von dessen Vorfahren: „die Mutter eine fromme Jüdin und Tochter eines holländischen Rabbiners. Auch der Vater war Jude. Und seinerseits Rabbinersohn. Und Mohrs Onkel war der Rabbiner von Trier. Aber von alledem will Mohr nichts wissen. Wenn jemand ihn darauf anspricht, wird er, wie soll ich sagen...“ (Ebd., 115) Ihr Gesprächspartner souffliert, ein zentrales Charaktermerkmal der Romanfigur Marx beisteuernd: | ||
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+ | In diesem stocksteifen Dialogstil werden in Jergers Opus – wie in Fontanes Bourgeoisie-Romanen aus der wilhelminischen Gründerzeit – die Gesprächskonstellationen abgewickelt, | ||
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+ | Eine hochproblematische Natur war also Marx. Er lieferte eine Theorie, die keiner verstand und die er selber nicht auf die Reihe bekam. Die Triebkraft dahinter war eine Utopie, die die Conditio Humana verleugnete bzw. entstellte. Tja, so naiv war dieser kluge Kopf, imaginierte sich eine bessere Welt, träumte allen Ernstes, there' | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Micha Brumlik, Karl Marx: Judenfeind der Gesinnung, nicht der Tat – War Marx Antisemit? In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 7, 2014, S. 113-120. (Eine Variante des Beitrags steht online: http:// | ||
+ | * Ilona Jerger, Und Marx stand still in Darwins Garten. Roman. Berlin 2017. | ||
+ | * Hans Jürgen Krysmanski, Die letzte Reise des Karl Marx. Frankfurt/ | ||
+ | * Karl Marx/ | ||
+ | * Eva Pfister, „Tussy Marx“ (Buchvorstellung und Gespräch mit Eva Weissweiler). Deutschlandfunk, | ||
+ | * Werner Plumpe, „Dies ewig unfertige Ding“ – „Das Kapital“ und seine Entstehungsgeschichte. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 10-16. Online beim Herausgeber, | ||
+ | * Johannes Schillo, Und Marx sprach zu Darwin… Schöne Künste und Marx-Jubiläum. In: Auswege-Magazin, | ||
+ | * Eva Weissweiler, | ||
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+ | ==== Letztes zur Wahl ==== | ||
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+ | In gut zwei Wochen ist es so weit: Am Sonntag, dem 24. September, wird in Deutschland mal wieder der Höhepunkt des demokratischen Lebens erreicht. An Informationen mangelt es in der „Informationsgesellschaft“ nicht. Doch helfen sie weiter – und wenn ja, wozu? Dazu einige Hinweise der IVA-Redaktion. | ||
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+ | „Ich habe die freie Wahl“, verkündet im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) der polnischstämmige Musiker Mateo Jasik: „Ich nutze mein Recht und gebe meine Stimme ab. Wenn ich es nicht tue, kann ich mich über das Ergebnis auch nicht beschweren!“ (bpb 2017b) Mit diesem bemerkenswerten, | ||
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+ | **Der Volkssouverän tritt auf...** | ||
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+ | Ein Klassiker, der alles erschöpfend behandelt, ist das Heft „Demokratie“ der // | ||
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+ | Ergänzt wird das Heft der Bundeszentrale durch die Einlage //Info aktuell Bundestagswahl 2017// von Politik-Professor Frank Decker (der u.a. für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung tätig ist). Das Info will neben Rückblick und Ausblick Antworten auf die „wichtigsten Fragen zum Ablauf“ und das nötige Grundwissen bieten, so dass die „Grundprinzipien“, | ||
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+ | Wer nicht weiß, wohin er die Kreuze malen soll, erhält auch Hilfe. Dazu gibt es seit Jahren den // | ||
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+ | Irgendwie hat die Liste der // | ||
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+ | **...und beherrscht sich selbst?** | ||
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+ | Es ist ja nicht so, dass Derartiges verschwiegen würde. Der //Spiegel// (Nr. 36/2017) hat in seiner letzten Titelstory „Aufwachen!“ einmal mehr den Wahlkampf als Unding bloßgestellt. Der Kommentar „Wir Eingelullten“ zielt dabei auf die neueste Manipulationstechnik der Machthabenden, | ||
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+ | Georg Schuster hat im Online-Magazin //Auswege// (Schuster 2017) den aktuellen Stand in Sachen Wahlwerbung 2017 resümiert. Er thematisiert den breiten Konsens der öffentlichen Meinung, dass man es in Deutschland im Sommer 2017 – wie so oft in Zeiten großer Koalitionen – mit einem „Zirkus“ ohne ernsthafte politische Alternativen zu tun habe, bei dem es nur um den „Stimmenfang“ der Politiker gehe. Schuster dokumentiert dafür zu großen Teilen das, was als Selbstverständnis der Macher und Strategen des Wahlkampfs explizit vermeldet wird. Die abgefeimten Methoden, das Volk als Stimmvieh zu behandeln und es gründlich einzuseifen, | ||
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+ | Schuster dagegen verweist auf die erste Schlussfolgerung, | ||
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+ | Freerk Huisken hat in einer Fortsetzung seiner // | ||
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+ | Huiskens Ausführungen bestehen darauf, das solche Argumente alles andere als stichhaltig sind. „Denn auch in Verhandlungen zwischen Parteien einer Regierungskoalition oder auch im Parlament wird gelegentlich sehr viel Zeit aufgewandt, um einen Beschluss unter Dach und Fach zu bringen, kommt es gelegentlich zu einstimmigen Beschlüssen und gehen Parteien mit unterschiedlichen Programmen aufeinander zu, um zu ‚tragfähigen‘ Entscheidungen beizutragen.“ (Huisken 2017, 1) Man könnte auch an die Bildung der letzten großen Koalition unter Merkel denken, die Monate in Anspruch nahm, ohne dass diese Zeitspanne irgendetwas durcheinander gebracht hätte. Oder man nehme gleich unsere Nachbarländer Belgien und Niederlande, | ||
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+ | Um die Machbarkeit des Ideals einer allgemeinen Volksberatschlagung sicherzustellen, | ||
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+ | **Literatur, | ||
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+ | * APuZ 2017 – Aus Politik und Zeitgeschichte Bundestagswahl 2017, Beiträge zur Bundestagswahl. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, online: http:// | ||
+ | * bpb 2017a – Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Demokratie. Informationen zur politischen Bildung, Bonn 2017, Heft 332, mit Info aktuell Bundestagswahl 2017, online: http:// | ||
+ | * bpb 2017b – Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Du hast die Wahl – Infobroschüre zur Bundestagswahl 2017 (in Deutsch, Arabisch, Polnisch, Russisch und Türkisch erhältlich), | ||
+ | * Freerk Huisken, Was man Heranwachsenden zum Thema „Wahlen“ sagen müsste, was ihnen aber viel zu selten gesagt wird. September 2017, online: | ||
+ | * Georg Schuster, Wahlwerbung 2017: Zukunft ist für alle da. In: Auswege – Perspektiven für den Erziehungsalltag, | ||
+ | * Wahl-O-Mat 2017. Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl ist ein Produkt der Bundeszentrale für politische Bildung und hat die Homepage: https:// | ||
+ | * Diverse Materialien zur Bundestagswahl (z.B. Programme der Parteien, Stellungnahmen der Gewerkschaften, | ||
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+ | ===== August ===== | ||
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+ | ==== Der Kampf gegen links ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Seit den Protesten beim Hamburger G20-Gipfel ist der hiesigen Öffentlichkeit klar, dass man sich der „überfälligen Debatte über linksextreme Gewalt“ (Junge Freiheit) stellen und handfeste Maßnahmen ergreifen muss. Zu der – nicht erst seit dem Sommer 2017 – mit vereinten Kräften geführten Kampagne ein Kommentar der IVA-Redaktion. | ||
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+ | Bundeskanzlerin Merkel besucht am 11. August, in der Startphase des diesjährigen Bundestagswahlkampfs, | ||
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+ | Die unseligen Zeiten der deutschen Spaltung, als Ulbricht sich – noch lange vor Netanjahu oder Trump – als kompetenter Mauerbauer hervortat, sind aber nur die eine Seite des Besuchs, gewissermaßen die Pflichtübung, | ||
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+ | Knabes Phillippika bricht der Zeitungsbericht nach dem Konditionalsatz ab. Was danach kommen müsste, kann man sich aber denken. Nicht denken darf man in diesem Zusammenhang an die heldenhaften Demonstranten vom Euro-Maidan in Kiew, die bei ihrer Militanz unsere volle Sympathie hatten und die mit ihren selbst gebastelten Waffen in der Bildzeitung gefeiert wurden. Oder an die Streetfighter aus der venezolanischen Opposition, wo es eine ansehnliche Fitnesstrainerin sogar bis zur Ikone des Straßenkampfes geschafft hat: Das Bild der vermummten, steinewerfenden Dame ging um die Welt – zumindest so weit die „freie Presse“ reicht – und zeigte eindrücklich, | ||
+ | |||
+ | Auf der anderen Seite ist es gar nichts seltsam. Es zeugt von der unbedingten Parteilichkeit, | ||
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+ | **Die unterschätzte Gefahr** | ||
+ | |||
+ | „Der Aufwand, der in Sachen Antimarxismus als Teil einer generellen Bekämpfung des Linksextremismus betrieben wird, hat etwas Irreales“, | ||
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+ | Uwe Roßbach, in Thüringen Geschäftsführer der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben, die sich explizit gegen eine Beteiligung an solchen Programmen wandte, führte deren Installierung auf ein innerparteiliches Problem der Konservativen zurück: „Nicht ohne Grund sorgen sich politische Formationen wie die beiden C-Volksparteien um ihr Wählerpotenzial, | ||
+ | |||
+ | Der Extremismusforscher Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen, der lange Jahre im Bundesamt für Verfassungsschutz für die Bobachtung des Linksextremismus zuständig war, veröffentlichten im Herbst 2011 ihre Studie „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr? Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat“, | ||
+ | |||
+ | So gibt es nun mit Hamburg einen neuen Schwung für die Programme gegen links. Diese dümpelten – im außerschulischen Bereich mangels größerer Nachfrage – vor sich hin, und auch die pflichtgemäß veranstalteten Evaluationen konnten keine besonderen Erfolge vermelden. Wie zu hören war, fanden die Angebote vor allem Akzeptanz im christdemokratischen und -sozialen Lager, wo z.B. Gruppen aus der Jungen Union eine Berlin-Reise finanziert wurde, damit sich die Teilnehmer mit ihrem MdB treffen und einen Spaziergang durch die Kreuzberger Kneipenszene absolvieren konnten. Oder die Programme verpufften. Wie die //Junge Welt// (12./ | ||
+ | |||
+ | **Die neue Wachsamkeit** | ||
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+ | Die Inanspruchnahme solcher Programme ist aber nicht entscheidend, | ||
+ | |||
+ | Das ist übrigens die einzige Stelle in dem Programm, die etwas aus dem Rahmen fällt und einen oppositionellen Touch aufweist. Ansonsten sind alle von rechts aufgeführten Punkte im Konsens der staatstragenden Parteien aufgehoben. Und auch die Wiedereinführung der Extremismusklausel ist im Gespräch. Dazu ist im Übrigen Folgendes anzumerken: Erstens hat die jahrelang praktizierte Extremismusklausel (die die Kooperation mit bestimmten Experten oder Initiativen im Rahmen geförderter Maßnahmen unterbinden sollte) genau die Funktion gehabt, den Kampf gegen rechts direkt mit der Aufgabenstellung zu verbinden, gegen links – d.h. gegen die dort je nach aktueller Verfassungsschutzeinschätzung beheimatete extreme Variante – Position zu beziehen. Von Unterschätzung oder Duldung kann also keine Rede sein. Zweitens hat die Familienministerin in Abstimmung mit Innenminister de Maizière 2013 diese Klausel nicht deshalb abgeschafft, | ||
+ | |||
+ | Die neue Wachsamkeit dokumentiert auch die Bundeszentrale für politische Bildung. Gerade mal einen Monat nach den Hamburger Protesten legt sie das Schwerpunktheft „Innere Sicherheit“ ihrer Zeitschrift //Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ)// vor, in dem der Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber, | ||
+ | |||
+ | Das Bedrohungsszenario, | ||
+ | |||
+ | // | ||
+ | |||
+ | Der Extremismusforscher zeigt sich dabei, wenn es um die Vereinnahmung des politischen Extremismus etwa am rechten Rand geht, durchaus tolerant. Wie er in einer aktuellen Bestandsaufnahme zur Gefährdung durch extremistische Parteien in Europa schreibt, müsse man konstatieren, | ||
+ | |||
+ | So großzügig ist Pfahl-Traughber im Grunde aber auch, wenn er nach links blickt. Exemplarisch hat er das in seiner jüngsten Auseinandersetzung mit dem Marxismus dargelegt (Pfahl-Traughber 2014, 29-41). Der Marxismus – im Unterschied zum Leninismus etc. – ist demnach nicht per se extremistisch und muss nicht von vornherein aus dem politischen Diskurs ausgegrenzt werden. Das Studium und die Vermittlung der Marxschen Theorie sind legitim, solange und sofern sich die Rezeption – so die Quintessenz der umständlichen methodologischen Vorschriften, | ||
+ | |||
+ | **Literatur** | ||
+ | |||
+ | * Arbeitskreis Extremismusbegriff, | ||
+ | * Ulrich Ballhausen, Soll sich politische Bildung am neuen Linksextremismusprogramm beteiligen? Anmerkungen zur aktuellen Debatte. In: Journal für politische Bildung, Nr. 1, 2011, S. 56-61. | ||
+ | * Harald Bergsdorf/ | ||
+ | * Gunther Latsch, Im Rausch der Gewalt – Warum linke Autonome und ein rechter Dichter Brüder im Geiste sind. In: Der Spiegel, Nr. 29, 2017. | ||
+ | * Markus Mohr/ | ||
+ | * Michael Paulwitz, Man muß nur wollen. In: Junge Freiheit, 22.7.2017. | ||
+ | * Armin Pfahl-Traughber, | ||
+ | * Armin Pfahl-Traughber, | ||
+ | * Armin Pfahl-Traughber, | ||
+ | * Uwe Roßbach, Erfolge kopieren? Die Auseinandersetzung mit dem Linksextremismus. In: Journal für politische Bildung, Nr. 1, 2011, S. 50-55. | ||
+ | * Johannes Schillo, Zur staatlichen Formierung politischer Bildung. In: Klaus Ahlheim/ | ||
+ | * Johannes Schillo, Antimarxismus heute. In: J.S. (Hg.), Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie, Hamburg 2015, S. 87-129. | ||
+ | |||
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+ | ---- | ||
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+ | ===== Juli ===== | ||
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+ | ==== Politik und Pädagogik gegen links ==== | ||
+ | |||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | „Nach Hamburg“ wird das Problembewusstsein der Republik, die schon immer den Extremismus jeder Couleur bekämpft hat, wieder einmal geschärft. Der Linksextremismus, | ||
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+ | |||
+ | Im Sommer erschien die aktualisierten Neuausgabe „Gegen Rechts argumentieren lernen“ von Rolf Gloël und Co. im VSA-Verlag (siehe IVA, Texte2017, Juni). Zur vorausgegangenen zweiten Auflage dieses Argumentationsleitfadens hatte es bei Amazon zwei positive Rezensionen gegeben (https:// | ||
+ | |||
+ | Dem Fragesteller muss man leider bescheinigen, | ||
+ | |||
+ | Das hat jetzt „nach Hamburg“ wieder seine Zuspitzung erfahren. Was man in Deutschland aktuell nach den Ansagen des Innen- bzw. Justizminister erlebt, kann man, wie die //Junge Welt// (12.7.2017) schrieb, als eine „Querfront aus CDU, CSU, SPD, AfD, FDP und NPD“ bezeichnen: Kritik am Kapitalismus, | ||
+ | |||
+ | **Eine Querfront gegen links?** | ||
+ | |||
+ | Dass die Proteste gegen den G20-Gipfel „nun für eine breitangelegte Kampagne gegen die gesamte Linke instrumentalisiert werden“, dass die politische Öffentlichkeit einen „Generalangriff“, | ||
+ | |||
+ | Speziell was die Aussage von der „Querfront“ betrifft, muss man genauer hinschauen. Wenn damit gemeint ist, dass hier eine rechtsradikale Position eine Neuorientierung im Bündnis mit der gesellschaftlichen Mitte, mit konservativen und liberalen Kreisen bis hin zur Sozialdemokratie zustande gebracht habe, unterliegt man einer Täuschung. AfD und Co. betreiben einen „Kulturkampf von rechts“, heißt es z.B. immer wieder in linken Publikationen (vgl. Kastrup/ | ||
+ | |||
+ | Dabei vertritt die AfD aber, wenn man einmal ihre bildungspolitischen Stellungnahmen und Aktivitäten näher betrachtet, keine Positionen, die groß aus dem Rahmen fallen. Sie sammelt im Grunde nur das ein, was sich in den letzten Jahrzehnten vom christlich-sozialen Konservatismus bis weit in die SPD und die Grünen hinein an Rechtstrend herausgebildet hat und was als Gesinnung in der legendären Mitte der Gesellschaft sowieso zuhause ist – und bringt das mit einer fundamentaloppositionellen Tonlage gegen die herrschende Politik in Stellung. Das ist jedenfalls das Fazit einer Untersuchung, | ||
+ | |||
+ | Bei den traditionellen Family Values – die als unbestrittenes pädagogisches Leitbild wieder verankert werden sollen – nimmt die AfD eine gewisse Außenseiterposition ein. Doch diese findet sich auch bei der CSU, beim „freiheitlich-konservativen Aufbruch“ der CDU, in evangelikalen Kreisen oder in der Deutschen Bischofskonferenz. Streng genommen ist es also keine Randpositionen, | ||
+ | |||
+ | Am Grad der Offenheit für fremde nationale Belange, am konkreten Umgang mit befreundeten oder angefeindeten Nationen, an der Zuständigkeitserklärung Deutschlands für internationale Ordnungsaufgaben wie Flucht und Migration entzündet sich dann der Streit zwischen der etablierten politischen Klasse und den aufstrebenden Kräften vom rechten Rand, die das Prinzip „Germany first“ gegen eine machtvergessene Führung auffahren wollen und dabei in einen fundamentalistischen Ton verfallen. Dabei scheint ihnen, wenn man den Einschätzungen der professionellen Politikbeobachter Glauben schenken darf, nach dem Euro nun auch das heiße Thema der deutschen Flüchtlingspolitik abhanden gekommen zu sein – so dass sie sich auf die Suche nach einem neuen Wahlkampfschlager begeben müssen. Möglicher Weise sind hier der Kampf gegen die „Ehe für alle“ oder jetzt gegen die linke Gefahr Ersatzthemen. Diese stammen aber, wie gesagt, nicht aus dem Gegenentwurf eines Programms, das nach kultureller Hegemonie strebt. Gerade bei der Hetze gegen linksextreme Chaoten und Krawallmacher, | ||
+ | |||
+ | Die Spezialität der AfD besteht darin, das Meinungskartell der „Altparteien“ bloßzustellen: | ||
+ | |||
+ | **Literatur** | ||
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+ | * Harald Bergsdorf/ | ||
+ | * Ulrich Dovermann (Hg.), Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 1135. Bonn 2011. | ||
+ | * Thomas Grumke/ | ||
+ | * Gerhard Hirscher/ | ||
+ | * Freerk Huisken, Mobilisierung in deutschen Schulen gegen Linksextremismus: | ||
+ | * Wolfgang Kastrup/ | ||
+ | * Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt – Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977. 5. Aufl. Frankfurt/ | ||
+ | * Armin Pfahl-Traughber, | ||
+ | * Michael Roick, Die DKP und die demokratischen Parteien 1968-1984. Paderborn u.a. 2006. | ||
+ | * Thilo Sarrazin, Der neue Tugendterror – Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. München 2014. | ||
+ | * Johannes Schillo, Antimarxismus heute. In: J.S. (Hg.), Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie, Hamburg 2015, S. 87-129. | ||
+ | * Johannes Schillo, Für einen schwarzrotgoldenen Schlussstrich – AfD und politische Bildung. In: Außerschulische Bildung, Nr. 2, 2017a, S. 51-57, online: http:// | ||
+ | * Johannes Schillo, Alternative politische Bildung für Deutschland. Auswege-Magazin, | ||
+ | * Klaus Schroeder/ | ||
+ | * Klaus Schroeder/ | ||
+ | * Stiftung Zeitbild (Hg.), Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern. Zeitbild Wissen, 53. Jg., München 2011. | ||
+ | |||
+ | |||
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+ | |||
+ | ==== „Marx is back“, Vol. 4 ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Die Marx-Renaissance, | ||
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+ | Selbstverständlich reihen sich nicht alle Statements und Veröffentlichungen in den Mainstream ein, der in den ersten Folgen der IVA-Reihe „Marx is back“ (Vol. 1-3) Thema war. Es gibt aus der linken Szene hierzulande und anderswo sowie von Seiten kritischer Wissenschaft und Bildung Beiträge, die sich bemühen, die Kritik der politischen Ökonomie wiederaufleben zu lassen und in Verbindung mit verschiedenen Projekten oder Programmen zu bringen (siehe z.B. Müller 2015, Schillo 2015, Krätke 2017, Bischoff u.a. 2017) – doch das wäre ein eigenes Kapitel. Die Haupttendenz des Jubiläums hat damit nichts zu tun, lässt sich davon auch nicht beirren, veranstaltet vielmehr einen sehr speziellen Personenkult samt allerlei feuilletonistischer und sonstiger Eskapaden, kommerzielle Interessen inbegriffen. | ||
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+ | **Das „Marx-Business“** | ||
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+ | Kurioser Weise ist gerade die //FAZ//, das Organ des Marktfundamentalismus, | ||
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+ | Die //FAZ// kümmert sich zugleich darum, dass das Marx-Jubiläum nicht falsch verstanden wird, dass also kein Zuspruch zu den theoretischen Leistungen des Mannes aufkommt, der den Kapitalismus in Grund und Boden kritisiert hat. Wenn an dem alten Rheinländer etwas festzuhalten sei, dann sollen es seine humanistischen Aufwallungen sein oder seine Rolle in der europäischen Geistes- und Sozialgeschichte, | ||
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+ | Damit diese Feier dem heutigen, weltoffenen Deutschland mit seiner unvergleichlichen sozialen Marktwirtschaft zugutekommt und nicht einer verqueren Theorie, müssen einige Klarstellungen erfolgen. Dazu heißt es einleitend im // | ||
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+ | Wie so oft, ist auch hier das Dementi verräterisch. Die Verteidiger der Marktwirtschaft, | ||
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+ | Das Buch ist aber keine Untergangsprognose. Ganz im Gegenteil, es zeigt, minutiös und in systematischer Abfolge, wie der Kapitalismus funktioniert. Das ist sein Inhalt und nicht die Vision einer besseren Welt, mit der sich die utopischen Sozialisten seinerzeit beschäftigten und die moderne Weltverbesserungsideen („Eine andere Welt ist möglich“) beflügelt. Wegen seiner Konzentration auf die ökonomische Realität gibt es ja immer wieder, wie jetzt in der //FAZ//, den Vorwurf, Marx hätte sich auf die Analyse der Übel fixiert und so gut wie nichts darüber zu sagen gehabt, „wie Kommunismus praktisch funktionieren sollte“ (Plickert 2017). Als ob man in der //FAZ// auf eine praxisnahe Bauanleitung gewartet hätte, um sich in Sachen Kapitalismus pro oder contra zu positionieren! | ||
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+ | **Die „ungelösten Schwachstellen“** | ||
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+ | Bei solchen Debatten wird man natürlich immer wieder zurück auf die These von den „ungelösten Schwachstellen“ (Werner Plumpe) verwiesen, die sich im Marxschen Opus finden ließen und die es insgesamt als Erklärung der (heutigen) kapitalistischen Realität disqualifizierten (vgl. „Marx is back“, Vol. 3). Das bereits vorgestellte Heft der Bundeszentrale für politische Bildung (//Aus Politik und Zeitgeschichte//, | ||
+ | |||
+ | - //Marx hat im „Kapital“ den Untergang des Kapitalismus vorausgesagt und sich damit grundsätzlich geirrt.// Marx „setzt darauf, dass seine Theorie die immanenten Destabilisierungstendenzen des Kapitalismus richtig identifiziert hat. Vermutlich wollte er damit der Arbeiterbewegung eine Anleitung geben, um die Geburtswehen der neuen Gesellschaft abzukürzen… Der Kapitalismus hat sich bis heute als äußerst überlebensfähig erwiesen… Es ist an der Zeit, das Vertrauen auf einen geschichtsphilosophischen Automatismus aufzugeben.“ (Quante 2017, 9) | ||
+ | - //Marx geht von der „Verelendung“ des Proletariats aus, die nicht eingetreten ist//. Vielmehr hat eine allgemeine Wohlstandsmehrung stattgefunden, | ||
+ | - //Die Marxsche Erklärung der Ausbeutung ist nicht haltbar, da schon die Arbeitswerttheorie schwere Mängel enthält.// „Zu Marx’ größten wissenschaftlichen Fehlleistungen gehört die Arbeitswerttheorie…, | ||
+ | - //Die moderne Geldwirtschaft und die Akkumulation, | ||
+ | |||
+ | //Ad 1:// Es stimmt, „der Kapitalismus hat sich als deutlich langlebiger erwiesen, als Marx es je für möglich gehalten hätte“ (Herrmann 2017, 18f); Marx hat sich in bestimmten Erwartungen getäuscht. Nur unterschlägt dieses Besserwissen der Nachgeborenen zwei fundamentale Tatbestände und offenbart sich damit als ziemliche Dummheit: Erstens ist die Kritik der politischen Ökonomie keine Prognose (s.o.), sondern eine Analyse der Funktionsweise des Kapitalismus, | ||
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+ | //Ad 2:// Es ist erstaunlich, | ||
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+ | //Ad 3:// Auch bei der – traditionsreichen – Zurückweisung der Arbeitswerttheorie erstaunt zunächst | ||
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+ | //Ad 4:// Das besprochene Muster zeigt sich auch beim Thema Finanzwesen: | ||
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+ | |||
+ | So viel in der gebotenen Kürze. Man könnte die genannten Punkte der gängigen Marx-Widerlegung natürlich noch erweitern (etwa im Blick auf die methodischen, | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Joachim Bischoff u.a., Vom Kapital lernen – Die Aktualität von Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie. Hamburg 2017. | ||
+ | * Stephan Finsterbusch, | ||
+ | * Karl Held (und Redaktionskollektiv), | ||
+ | * Ulrike Herrmann, Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung – Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir heute von Smith, Marx und Keynes lernen können. Frankfurt/ | ||
+ | * Ulrike Herrmann, „Das Kapital“ und seine Bedeutung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
+ | * Michael R. Krätke, Kritik der politischen Ökonomie heute – Zeitgenosse Marx. Hamburg 2017. | ||
+ | * Klaus Müller, Geld – von den Anfängen bis heute. Freiburg 2015. | ||
+ | * Johannes Pennekamp u.a., Das Marx-Business. In: Frankfurter Allgemeine Woche, Nr. 18, 2017. | ||
+ | * Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert. München 2014. | ||
+ | * Philip Plickert, Der falsche Prophet. In: FAZ, 30.6.2017. | ||
+ | * Werner Plumpe, „Dies ewig unfertige Ding“ – „Das Kapital“ und seine Entstehungsgeschichte. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
+ | * Michael Quante, A Traveller’s Guide – Karl Marx’ Programm einer Kritik der politischen Ökonomie. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
+ | * Michael Quante/ | ||
+ | * Fritz Reheis, Wo Marx Recht hat. (2011) 3. Aufl., Darmstadt 2016. | ||
+ | * Johannes Schillo (Hg.), Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie. Hamburg 2015. | ||
+ | * Hans-Werner Sinn, Was uns Marx heute noch zu sagen hat. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 3 ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Marx wird wieder für interessant befunden, weil er vieles kommen sah und man aus der heutigen Distanz – jubiläumshalber – ganz abgeklärt darauf zurückblicken kann. Unter Texte2017 gab es dazu bereits im April und Mai Informationen. Hier eine Fortsetzung der IVA-Redaktion. | ||
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+ | Marx ist wieder in. Das Feuilleton interessiert sich brennend für die Kapitalismuskritik von Anno Dunnemals, die uns Nachgeborenen Verschiedenes zu denken geben soll. Da konnte auch die Suhrkamp-Kultur nicht abseits stehen und hat jetzt etwas Hochkulturelles zum Thema beigesteuert, | ||
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+ | Mit dem Stichwort „Neoliberalismus“ ist allerdings schon der Hinweis gegeben, dass hier nicht an die Kritik der politischen Ökonomie angeknüpft wird, wie sie Marx im „Kapital“ entwickelt hat. Es geht vielmehr um eine bedenkliche Tendenz, die sich in der Wirtschaftspolitik breit gemacht haben soll. „Dieses Buch will an die Globalisierungsdiskussion der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts anknüpfen und sie fortführen“, | ||
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+ | **Ein „neues“ Marx-Bild** | ||
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+ | Vor 50 Jahren, in eben dieser guten alten Zeit des rheinischen Kapitalismus, | ||
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+ | Zum 150. Jubiläum des „Kapital“ ist jetzt nicht Suhrkamp tätig geworden, sondern die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Sie hat eine Ausgabe ihrer Zeitschrift //Aus Politik und Zeitgeschichte// | ||
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+ | Dass man Marx als einen zeitbedingten Diagnostiker sehen soll, der dem heutigen Problematisieren der globalisierten Marktwirtschaft gewisse Impulse zu geben vermag, ist das Zugeständnis, | ||
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+ | Aus dem Rahmen fällt hier eigentlich nur der Beitrag von Dietmar Dath, wobei im vorliegenden Fall das redaktionelle Arrangement der Zeitschrift, | ||
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+ | Der Beitrag der Historikerin Beatrix Bouvier, von 2003 bis 2009 Leiterin des Karl-Marx-Hauses in Trier, hat auch eine gewisse Sonderstellung in dem Heft. Er thematisiert nicht unmittelbar die Gültigkeit oder Obsoletheit der Marxschen Theorie, sondern wendet sich einem anderen Thema zu. Er stellt einen ästhetisch-medialen Aspekt in den Mittelpunkt, | ||
+ | |||
+ | Besonders ergiebig ist die Medienanalyse nicht. Sie steuert dann aber doch einen entscheidenden Punkt zum Thema Aktualität der Marxschen Theorie bei. Sie informiert nämlich darüber, was von der großen Landesausstellung, | ||
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+ | **Das Marxsche Theorieversagen** | ||
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+ | Michael Quante, Mitherausgeber des neuen Marx-Handbuchs (Quante/ | ||
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+ | Sinn und Paech nehmen Marx dabei als Stichwortgeber für ihre eigene Konzepte einer marktwirtschaftlichen Steuerung oder einer „Postwachstumsökonomik“ in Anspruch, erkennen ihn also als einen in die Irre gegangenen Vorläufer ihrer eigenen Bemühungen an. Die vier sachhaltigen Argumente, die das Heft der Bundeszentrale präsentiert, | ||
+ | |||
+ | Zwar trifft keiner der hier erhobenen Vorwürfe zu, doch in solchen Würdigungen – vor allem etwa bei sich kritisch verstehenden Journalisten wie Matthias Greffrath (2017) oder Ulrike Herrmann (2016, 2017) – schwingt immer noch eine gewisse Anerkennung der theoretischen Aufbereitung ökonomischer Probleme mit. Die Marx-Lektüre soll z.B. einen reinigenden Effekt haben, danach laufe man „gleichsam mit einem kritischen Geist, einem gewaschenen Gehirn herum“ (Greffrath 2017, 120). Oder: „Immerhin, | ||
+ | |||
+ | „Nicht die Krankheit hinderte Marx an der Arbeit, sondern die theoretischen und konzeptionellen Probleme erwiesen sich als unlösbar… Die wissenschaftliche Kritik ist sich in der Tat einig, dass ‚Das Kapital‘ ungelöste Schwachstellen besitzt, und zwar einerseits in der Arbeitswert- beziehungsweise Arbeitsmengenlehre und dem davon ausgehenden Transformationsproblem, | ||
+ | |||
+ | So zeigt die Bundeszentrale heute letztlich doch wieder mit einem bekenntnisstarken Autor, der selber erst nach jugendlichen Verirrungen im Zuge seiner Karriereplanung zu Kreuze gekrochen ist, klare Kante gegen den Marxismus – wie zu den besten Zeiten des Kalten Krieges, als die Behörde mit ihrem „Handbuch des Weltkommunismus“ das Publikum gegen die üblen Charaktere und totalitären Versuchungen des Bolschewismus immunisieren wollte. | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Beatrix Bouvier, Karl Marx: Bildnis und Ikone. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 34-40. | ||
+ | * Dietmar Dath, Hinschauen statt glauben – Ein Erfahrungsbericht aus der Langstrecken-Marxlektüre. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 29-33. | ||
+ | * Heinrich Geiselberger (Hg.), Die große Regression – Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit. Berlin 2017. | ||
+ | * Matthias Greffrath, Der Mehrwert von Marx – Zur anhaltenden Aktualität des „Kapital“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 6, 2017, S. 109-120. | ||
+ | * Karl Held/Theo Ebel, Krieg und Frieden – Politische Ökonomie des Weltfriedens. Frankfurt/ | ||
+ | * Ulrike Herrmann, Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung – Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir heute von Smith, Marx und Keynes lernen können. Frankfurt/ | ||
+ | * Ulrike Herrmann, „Das Kapital“ und seine Bedeutung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 17-22. | ||
+ | * Ernst Theodor Mohl u.a., Folgen einer Theorie – Essays über ‚Das Kapital‘ von Karl Marx. Frankfurt/ | ||
+ | * Niko Paech, Postwachstumsökonomik – Wachstumskritische Alternativen zu Karl Marx. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 41-46. | ||
+ | * Werner Plumpe, „Dies ewig unfertige Ding“ – „Das Kapital“ und seine Entstehungsgeschichte. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 10-16. | ||
+ | * Michael Quante, A Traveller’s Guide – Karl Marx’ Programm einer Kritik der politischen Ökonomie. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 4-9. | ||
+ | * Michael Quante/ | ||
+ | * Hans-Werner Sinn, Was uns Marx heute noch zu sagen hat. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 23-28. | ||
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+ | ===== Juni ===== | ||
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+ | ==== Pädagogik gegen rechts, ächz ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Gegen rechts geht der demokratische Staat meist ausgrenzend vor, auch wenn Bemühungen der Bildung und Aufklärung gefragt sind. Eine neue Arbeitshilfe von Gloël/ | ||
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+ | Die „Bewältigung“ des historischen Faschismus und die Immunisierung der Bevölkerung gegen seine „Anfänge“, | ||
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+ | Dazu gibt es im Folgenden einige Anmerkungen, | ||
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+ | **Extremismusbekämpfung** | ||
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+ | Die Abwehr des (Neo-)Faschismus hat in pädagogischer Hinsicht zunächst ihren festen Platz im Schulunterricht. Bei allen Unterschieden, | ||
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+ | In der Regel, schreibt Freerk Huisken in seiner Kritik des hiesigen Schulsystems, | ||
+ | |||
+ | Die Schule hat ihre klare Aufgabe darin, den Nachwuchs gegen Rechts //und// gegen Links (vgl. Huisken 2012b) zu immunisieren. Doch schon seit der Adenauerära gilt der Schulunterricht als nicht ausreichend, | ||
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+ | **Ungefestigte Persönlichkeiten stabilisieren? | ||
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+ | Die entsprechenden Konsequenzen für Bildung und Aufklärung sind auf der IVA-Website (siehe Texte2016 und Texte2017) bereits mehrfach Thema gewesen. So der Sachverhalt, | ||
+ | * Rechtsextremismus/ | ||
+ | * Er ist primär ein // | ||
+ | * Sozialpädagogische Ansätze, paradigmatisch die „// | ||
+ | * Das Leitbild der // | ||
+ | * Die // | ||
+ | * Konzepte eines // | ||
+ | Im Einzelnen wären hier viele weitere Dinge aufzuführen, | ||
+ | |||
+ | KZ-Besuche im Sinne der genannten Betroffenheitspädagogik werden z.B. vom Verein March of Remembrance and Hope organisiert (Website: http:// | ||
+ | |||
+ | Gegen die sich zu wappnen bzw. den Nachwuchs in Stellung zu bringen, erfordert eine spezielle Veranstaltung. Verständlicher Weise, denn die Auslöschung von Menschenleben ist in der heutigen Welt globaler Ordnungsstiftung eine Selbstverständlichkeit, | ||
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+ | **Argumentieren gegen Überzeugungen!** | ||
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+ | Die Schwierigkeiten, | ||
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+ | Es ist der Konsens, gegen den die neu erstellte Arbeitshilfe von Rolf Gloël, Kathrin Gützlaff und Jack Weber anschreibt. „Wer ‚gegen Rechts // | ||
+ | |||
+ | Dazu geht das Buch //erstens// (Kapitel 1) auf das zu Grunde liegende politische bzw. politikwissenschaftliche Problem ein, d.h. auf den „Rechtsruck“ und seine Gründe, wie sie aus offiziellem Blickwinkel ins Visier genommen werden. Zu der Frage, warum sich Menschen rechten politischen Vorstellungen, | ||
+ | |||
+ | In seinem Hauptteil (in den Kapiteln 2 bis 4) stellt das Buch // | ||
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+ | Das letzte (5.) Kapitel kommt // | ||
+ | |||
+ | Einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Klaus Ahlheim, Prävention von Rechtsextremismus, | ||
+ | * Klaus Ahlheim, Erinnern als Chance – auch gegen Rechtsextremismus? | ||
+ | * Rolf Gloël/ | ||
+ | * Rolf Gloël/ | ||
+ | * Rolf Gutte/ | ||
+ | * Manfred Henle, „Mein Kampf“ – ein Plädoyer für die Lektüre. In: Praxis Politische Bildung, Nr. 3, 2010, S. 210-218. | ||
+ | * Freerk Huisken, Der demokratische Schoß ist fruchtbar… Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus. Hamburg 2012a. | ||
+ | * Freerk Huisken, Mobilisierung in deutschen Schulen gegen Linksextremismus: | ||
+ | * Freerk Huisken, Erziehung im Kapitalismus – Von den Grundlügen der Pädagogik und dem unbestreitbaren Nutzen der bürgerlichen Lehranstalten. Aktualisierte und ergänzte Neuausgabe. Hamburg 2016. | ||
+ | * Michael Kohlstruck, Bildung „gegen rechts“. In: Benno Hafeneger (Hg.), Handbuch Außerschulische Jugendbildung. Schwalbach/ | ||
+ | * Georg Loidolt, Vom Nutzen und Nachteil des Faschismus für die Demokratie. Wien 2013, Vertrieb über: www.amazon.de. | ||
+ | * Björn Milbradt u.a. (Hg.), Ruck nach rechts? Rechtspopulismus, | ||
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+ | ==== Trump – eine Witzfigur? ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Der US-Präsident hat, daheim und auswärts, eine ausnehmend schlechte Presse. Und bis auf seine Anhänger misstraut ihm fast alle Welt. Nur: Schlechte Meinungen über eine Politiker sind etwas anderes als eine Beurteilung der Politik – ein banaler, aber entscheidender Unterschied, | ||
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+ | Der neue US-Präsident, | ||
+ | * Erstens mit den politischen Maßnahmen, die er ankündigt und ergreift – zuletzt natürlich mit seinen Auftritten bei NATO-Gremien, | ||
+ | * Zweitens mit seiner speziellen Art, sich immerzu auf das amerikanische Volk als die Instanz zu berufen, in deren Namen und für die er sein hohes Amt ausübt. Damit hat er sich den Titel „Populist“ eingehandelt – er sei ein Volksverführer, | ||
+ | * Drittens mit seinem präsidialen Politikstil, | ||
+ | Über all das gibt es hierzulande lauter negative Urteile. Trump gilt, außer bei den Rechten (so etwa bei der AfD, die ihm zur Amtsübernahme ein „hoffnungsvolles“ Glückwunschtelegramm schickte), als Fehlbesetzung – wahlweise als gefährlich, | ||
+ | Trump gilt also nach Charakter und Fähigkeit als völlig ungeeignet für das hohe Amt, in das ihn das US-Volk – entsprechend den heimischen Regeln der Mehrheitsbildung – gewählt hat. Die europäische und die deutsche Öffentlichkeit bestreiten dem Mann rundum die Eignung für die hohe Politik. Nach ihren vorgestellten Maßstäben ist er politikunfähig, | ||
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+ | **Analyse eines Politikwechsels** | ||
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+ | Die neue Ausgabe der Politischen Vierteljahreszeitschrift // | ||
+ | |||
+ | Der // | ||
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+ | Zweitens gibt es den Text „Donald Trump und die Welt“ (Decker 2017b), der sich zunächst mit Trumps Anspruch an die kapitalistische Weltwirtschaft – „Jobs for the American People“ – befasst und die gar nicht neue Leitlinie „Die Welt ist Mittel für den Reichtum der USA“ (ebd., 50) thematisiert – eine Leitlinie, die heutzutage allerdings auf einer veränderten Grundlage, nämlich der seit Jahren stattfindenden internationalen „Krisenkonkurrenz“ (ebd., 53f), proklamiert und implementiert wird. Das führt im nächsten Schritt zu Trumps Absage an die bisherige, gerade durch das Machtwort der USA installierte Weltordnung: | ||
+ | |||
+ | **Zwischen Hoffen und Bangen** | ||
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+ | Auch für Linke, denen mehr oder weniger geläufig ist, dass der amerikanische Präsident die politische Gewalt einer kapitalistischen Weltmacht repräsentiert, | ||
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+ | In einer deutschen Fernseh-Talk-Show Ende 2016 gab sich Oskar Lafontaine – der in Hillary Clinton die eigentliche Kriegstreiberin und „Terroristin“ ausgemacht hatte und deshalb selber einer gewissen Trump-Nähe verdächtigt wurde – recht abgeklärt: „Ich höre immer: Der amerikanische Präsident ist der mächtigste Mann der Welt. Dabei hat die Wirtschaft die amerikanische Politik fest im Griff, sodass der Präsident nur wenig verändern kann.“ (www.noz.de, | ||
+ | |||
+ | Es ist schon seltsam, wie linke Kreise sich in die öffentliche Debatte einklinken und dass z.B. die Mitteilung ‚Amerikas Kapitalismus geht trotz allem Aufruhr seinen gewohnten Gang‘ wie eine Beruhigung klingen soll. Exemplarisch führte das eine Kontroverse in der Zeitschrift Konkret vor, in der zunächst Herausgeber Hermann Gremliza zum Frühjahr 2017 anhand einiger Entscheidungen der neuen US-Regierung (Zurückstufung des Chefberaters Stephen Bannon, parlamentarische Blockade des ersten Gesetzesentwurfs zur Abschaffung von Obamacare…) festhielt, Trump, „der mächtigste Hampelmann der Welt“ (Gremliza 2017, 9), habe die Signale des Großkapitals verstanden – er werde jetzt auch nur business as usual machen. In der Juni-Ausgabe der Zeitschrift konterte darauf Lars Quadfasel, nachdem sich die betreffenden Entscheidungen nicht mehr so eindeutig als Zurücknahme der ursprünglichen radikalen Ankündigungen interpretieren ließen: Die optimistische Diagnose Gremlizas habe sich so nicht bestätigt – „leider“, | ||
+ | |||
+ | Ist Trump also, wie Quadfasel formuliert, „in allererster Linie der Laufbursche des Kapitals“ (ebd.) oder nicht? Das soll das eigentliche Problem sein, das in der Kontroverse herausgestellt wird – wie gesagt als Frage, deren Beantwortung dann auch zu klären vermöge, „wie begründet die Hoffnung ist, dass ‚das Kapitalinteresse‘ es schon richten wird“ (ebd.). Quadfasel macht einige Anläufe, die von ihm in Anführungszeichen gesetzte Größe „Kapitalinteresse“ zu untersuchen. Er hält die These vom business as usual, das die Politik schon zur Räson bringen werde, für nicht angebracht. Denn „das“ nationale Kapitalinteresse gebe es nicht, sondern nur einzelne Kapitalisten mit ihren jeweiligen Interessenlagen, | ||
+ | |||
+ | Mit dem Rekurs auf die Haltung, die man einnehmen soll, ist das aufgeworfene theoretische Problem erledigt. Einerseits soll an der These vom Laufburschen und Hampelmann etwas dran sein: Ja, die Profitinteressen der Wirtschaft sind es, die den Gang der Dinge bestimmen und der Politik die Maßgaben präsentieren. Andererseits gehe die Politik nicht in dieser Bestimmung auf. Sie erweise sich dann doch, wenn man über die weitere Entwicklung spekuliert, als relativ selbständig, | ||
+ | |||
+ | Den Gedanken kennt man im Grunde aus linken Debatten: Gewählt wird immer das kleinere Übel. Das Bedürfnis, Wählbarkeit im präsentierten Angebot zu finden oder zu erfinden, ist dabei leitend. Ob es nun in zynischer Offenheit ausgesprochen wird oder nicht – im Abwägen der Möglichkeiten der Herrschaft und der linken Wahloptionen erschöpft sich ein Großteil der sich kritisch verstehenden Analysen der aktuellen US-Präsidentschaft. Da sehen die einen in der Wahl Trumps „nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen: nämlich die Möglichkeit, | ||
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+ | **Literatur** | ||
+ | |||
+ | * Peter Decker (und Redaktionskollektiv), | ||
+ | * Peter Decker (und Redaktionskollektiv), | ||
+ | * Nancy Fraser, Für eine neue Linke oder: Das Ende des progressiven Neoliberalismus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 2, 2017, S. 71-76. | ||
+ | * Hermann L. Gremliza, Der Lehrling. In: Konkret, Nr. 5, 2017, S. 9. | ||
+ | * Thomas Hecker, Faschistoide Züge – Die Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump ist Ausdruck verschärfter Widersprüche. Die Bundesrepublik nutzt die Situation für ihre eigenen Bestrebungen zur Aufrüstung. In: Junge Welt, 24.4.2017, S. 12-13. | ||
+ | * Lars Quadfasel, Quo vadis, cui bono? Wie verhält sich das Interesse des US-Kapitals zur politischen Agenda Trumps? In: Konkret, Nr. 6, 2017, S. 18-19. | ||
+ | * Ingrid Kurz-Scherf, | ||
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+ | ==== Kollabierender Kapitalismus? | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Künden die aktuellen Krisensymptome von der Apokalypse, die der Kapitalismus unaufhaltsam herbeiführt? | ||
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+ | 2017 feiert die große Finanz- und Wirtschaftskrise ihr zehnjähriges Jubiläum und Diagnosen aus der Linken bescheinigen der Krise zunehmend einen finalen Charakter. „Schon hat, was als Wirtschaftskrise begann, sich zu einer Gesellschaftskrise ausgewachsen“, | ||
+ | |||
+ | „Sind die aktuellen Krisensymptome die apokalyptischen Reiter, die das Ende des Kapitalismus ankündigen? | ||
+ | |||
+ | Ergibt sich ein solcher „finaler“ oder „letaler“ Krisencharakter auch aus den Erkenntnissen der marxistischen Theorie, also aus einer politökonomischen Analyse, die den (Über-)Akkumulationsprozess des Kapitals erklärt und sich nicht im Einsammeln düsterer Prognosen der marktwirtschaftlichen Akteure und der kulturkritischen Experten ihres Überbaus erschöpft? Elmar Altvater hat dies schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise in einer Publikation bejaht (vgl. Altvater 2005), Freerk Huisken hat eine derartige Endzeitdiagnose bestritten (vgl. Huisken 2006, 2010). Natürlich ist es nicht zu leugnen, dass auch Jahre nach Ausbruch der amerikanischen „Hypothekenkrise“ immer noch und verschärft der „Weltkapitalismus im Krisenmodus“ läuft, wie die Vierteljahresschrift // | ||
+ | |||
+ | **Ende des fossilen Kapitalismus** | ||
+ | |||
+ | Seit den Thesen des //Club of Rome// über die „Grenzen des Wachstums“ (Meadows u.a. 1972) existiert eine Tradition der Warnungen vor übertriebenem Wachstumsoptimismus und vor dem Setzen auf krisenfreie Geschäftsausdehnung. Altvater hatte solche Warnungen aufgenommen, | ||
+ | |||
+ | Die Haltbarkeit einer solchen politökonomischen Argumentation, | ||
+ | |||
+ | Huisken ging in seiner Kritik ausführlich darauf ein, wie der „grüne Kapitalismus“ als Wachstumssphäre von der Wirtschaft, aber auch von der Politik ausgemacht und in Beschlag genommen wird, also gar nicht als Gegenentwurf einer solidarischen bzw. moralischen Ökonomie dienen kann – eine Aufklärung, | ||
+ | |||
+ | **Entsubstantialisierung des Kapitals** | ||
+ | |||
+ | Auch Konicz beginnt seine Analyse mit einem Verweis auf die einschlägige Tradition der Weltuntergangsprognosen. Er zitiert eine NASA-Studie (!) von 2014, die ermittelt habe, „dass die ‚industrielle Zivilisation‘ auf einen ‚irreversiblen Kollaps‘ zusteuere, der in den kommenden Dekaden unausweichlich eintreten werde, sollten der Raubbau an den natürlichen Ressourcen und die zunehmend ungleiche Vermögensverteilung nicht überwunden werden“ (Konicz 2016, 7). Und er fügt dem hinzu: „Wer wollte dieser Erkenntnis widersprechen? | ||
+ | |||
+ | Die Publikation von Konicz stammt aus der „wertkritischen“ Richtung, die vor allem mit dem Namen Robert Kurz („Schwarzbuch Kapitalismus“, | ||
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+ | Ein Weiteres kommt hinzu: Bei diesem ökonomischen Sachverhalt nimmt Konicz‘ Krisendiagnose nur ihren Ausgangspunkt, | ||
+ | |||
+ | Konicz‘ These von der „Entsubstantialisierung des Kapitals“ (ebd., 111) ist von Kurz übernommen. Bei dem heißt es z.B.: „Seit den 80er Jahren brachte die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik eine neue Qualität der Rationalisierung hervor, von der menschliche Arbeitskraft in einem bisher nie da gewesenen Ausmaß entwertet wird. Die reale ‚Substanz‘ der Verwertung von Kapital schmilzt ab, und neue Industrien mit der Potenz eines selbsttragenden Wachstums sind ausgeblieben.“ (Kurz 2013, 51) Georg Schuster hat im Auswege-Magazin in drei Beiträgen (2017a-c) die Thesen der finalen Krise und des Anbruchs eines Postkapitalismus auf den Prüfstand gestellt. Was er zu Kurz bemerkt, trifft dabei genau das Problem solcher Endzeittheorien, | ||
+ | |||
+ | Das Gesetz vom tendenziellen Fall, das in den neueren Marx-Würdigungen teilweise als großartige, | ||
+ | |||
+ | In seinen Beiträgen im // | ||
+ | |||
+ | Bei Kurz oder Konicz bezieht sich das Endzeitszenario noch auf Widersprüche, | ||
+ | |||
+ | Erstaunliche Weise soll diese Konsequenz aber keine politische Qualität haben, sondern nur den Lebensstil der Einzelnen betreffen. Gegen Planwirtschaft spricht sich Paech kategorisch aus. Sein Konzept einer Postwachstumsökonomik will die Rechnungsweisen der Marktwirtschaft mit den Größen Lohn, Preis, Gewinn, Kredit etc. in Kraft lassen, auch nicht groß „von oben“ umsteuern. Es berücksichtigt, | ||
+ | |||
+ | **Literatur** | ||
+ | * Elmar Altvater, Das Ende des Kapitalismus – wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik. Münster 2005 (liegt mittlerweile in 7. Auflage 2011 vor). | ||
+ | * Joachim Bischoff/ | ||
+ | * Peter Decker (und Redaktionskollektiv), | ||
+ | * Dennis Meadows u.a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart 1972. | ||
+ | * Freerk Huisken, Wieder ein Menschheitsretter (Rez. zu Altvater 2005). Mai 2006. Online: http:// | ||
+ | * Freerk Huisken, Endzeitkapitalismus? | ||
+ | * Tomasz Konicz, Kapitalkollaps – Die finale Krise der Weltwirtschaft. Hamburg 2016. | ||
+ | * Robert Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus - Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Frankfurt/ | ||
+ | * Robert Kurz, Der Tod des Kapitalismus. Hamburg 2013. | ||
+ | * Paul Mason, Nach dem Kapitalismus? | ||
+ | * Paul Mason, Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie. Berlin 2016b. | ||
+ | * Niko Paech, Postwachstumsökonomik – Wachstumskritische Alternativen zu Karl Marx. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
+ | * Georg Schuster, Bücher für die Flughafenbuchhandlung? | ||
+ | * Georg Schuster, Von wegen: „Postkapitalismus“ (Teil 2). In: Auswege, April 2017b. | ||
+ | * Georg Schuster, Von wegen: „Postkapitalismus“ (Teil 3). In: Auswege, Mai 2017c. | ||
+ | * Hans-Werner Sinn, Was uns Marx heute noch zu sagen hat. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, | ||
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+ | ==== Religiöser Antikapitalismus==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Religiöse Autoritäten wie Martin Luther oder Papst Franziskus gelten heutzutage – was bereits in zwei IVA-Texten 2016 Thema war – als Kronzeugen der Kapitalismuskritik. Dazu ein weiterer Beitrag der IVA-Redaktion. | ||
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+ | „Der Kapitalismus sonnt sich nach dem Ende des Sowjetkommunismus als Sieger in allen vergangenen und zukünftigen Ideologie-Streiten. Und dann schreibt Papst Franziskus eine neue Enzyklika...“, | ||
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+ | Da 2017 Luther-Jahr ist, gibt es analoge Bestrebungen, | ||
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+ | **Verdrängte Kapitalismuskritik? | ||
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+ | Die gegenwärtigen Jubiläumsveranstaltungen zu Luther und Marx sieht Duchrow kritisch. Es würden zwar allerlei Dinge in Erinnerung gerufen, aber letztlich „beide – der kapitalismuskritische Luther und der von Deutschland ins Exil getriebene Entzauberer des allmächtigen Kapitals – hartnäckig verdrängt, wenn nicht tabuisiert.“ (Duchrow 2017, 10) Dem kann man zustimmen. Der Mainstream der Rückblicke, | ||
+ | * Welche Kritik am (Früh-)Kapitalismus hat Luther seinerzeit vertreten und unters Volk gebracht? Ist er wirklich „für die Menschen“ eingetreten? | ||
+ | * Wie steht es mit der Nähe von Luther und Marx, und welche Kritik des Kapitalismus hat der Letztere auf den Weg gebracht? Ist tatsächlich „Marx als Theologe“ (Duchrow 2017, 102) zu würdigen? | ||
+ | * Wie ist die Wirtschaftskritik des Bergoglio-Papstes beschaffen? Analysiert er, wie behauptet, „tiefgründig die kapitalistischen Ursachen der Katastrophen des herrschenden Systems“? Existiert eine „Legitimationskrise“ des Kapitalismus und kann man sie unter Berufung auf den Vatikan verschärfen? | ||
+ | Zur Beantwortung dieser Fragen sollen im Folgenden einige Hinweise gegeben werden, den alten und jetzt wieder neu in Erscheinung tretenden religiösen Antikapitalismus betreffend. Bei Bedarf wird die Debatte fortgesetzt. | ||
+ | |||
+ | **Von Luther zu Marx** | ||
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+ | Dass Luther im 16. Jahrhundert kritische Worte über den sich durchsetzenden Kapitalismus verlor, ist nicht zu bestreiten Auch Marx hat das im „Kapital“ vermerkt. Dem im Einzelnen nachzugehen, | ||
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+ | Es wird nämlich unterschlagen, | ||
+ | |||
+ | Das Urteil Blochs über Luther steht übrigens in der Tradition der Arbeiterbewegung. Der junge Friedrich Engels bemerkte, Luthers Pamphlet gegen die Aufständischen sei „mit solcher Gehässigkeit, | ||
+ | |||
+ | Diese Aussagen mögen deutlich machen, dass von einer innigen, geistigen Verbindung zwischen Luther und Marx nicht die Rede sein kann. Es stimmt natürlich, dass Luther Kritik am Frühkapitalismus geübt hat – wie die katholische Kirche oder der Islam auch. „Wie soll das immer mögen göttlich und recht zugehen, daß ein Mann in so kurzer Zeit reich werde, daß er Könige und Kaiser auskaufen möchte? | ||
+ | |||
+ | Die Kirche als Teil des Feudalsystem stand in Opposition zur Geldwirtschaft; | ||
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+ | Die kirchliche Lehre machte im Lauf der Jahrhunderte explizit ihren Frieden mit wirtschaftlichen Verhältnissen, | ||
+ | |||
+ | Christoph Fleischmann hat in seinem historischen Abriss zur religiös-moralischen Begleitung des Prozesses, der zur Durchsetzung des Kapitalismus im christlichen Abendland führte, die Anpassung der Kirchen nachgezeichnet (vgl. Fleischmann 2010). In seinem Rückblick auf die Reformation | ||
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+ | Die Antwort weiß übrigens auch Fleischmann: | ||
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+ | **Und heute?** | ||
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+ | Verunsichert sind die Kirchen heute angesichts der politischen und ökonomischen Entwicklung des Weltkapitalismus in der Tat. Was katholischer- oder evangelischerseits aus Bischofskonferenz oder EKD etwa zum neuen Rechtstrend in Deutschland verlautet, klingt wie eine Korrektur früherer Fehler. Dass sich etwa die katholische Kirche wieder – wie im 20. Jahrhundert mit ihren beiden großen Päpsten Pius XI. und Pius XII. – als Wegbereiter und Stabilisator des Faschismus erweisen wird (vgl. Schillo 2017), scheint ausgeschlossen. Und was die Ökonomie betrifft, ist die glasklare Position des Antisozialismus und der Heiligsprechung des Privateigentums schon länger zurückgenommen. Kardinal Reinhard Marx, der fürs Soziale zuständige Mann der katholischen Bischofskonferenz, | ||
+ | |||
+ | „Ich schreibe Ihnen, weil mir in letzter Zeit die Frage keine Ruhe lässt, ob es am Ende des 20. Jahrhunderts, | ||
+ | |||
+ | In dem Brief heißt es weiter: „Sie, Herr Marx, haben vorhergesagt, | ||
+ | |||
+ | **Literatur** | ||
+ | |||
+ | * Ernst Bloch, Thomas Münzer – Als Theologe der Revolution. Frankfurt/ | ||
+ | * Ulrich Duchrow, Mit Luther, Marx & Papst den Kapitalismus überwinden. Hamburg 2017 (zit. nach der Vorabveröffentlichung auf der VSA-Verlagsseite: | ||
+ | * Friedrich Engels, Fortschritte der Sozialreform auf dem Kontinent (1843). In: Marx-Engels-Werke, | ||
+ | * Christoph Fleischmann, | ||
+ | * Christoph Fleischmann, | ||
+ | * Wolfgang George (Hg.), Laudato Si‘ – Wissenschaftler antworten auf die Enzyklika von Papst Franziskus. Gießen 2017. | ||
+ | * Freerk Huisken, Der Papst als Kapitalismuskritiker: | ||
+ | * Konrad Lotter, „Wider den Wucher zu predigen“. In: Junge Welt, 20./21. 5. 2017. | ||
+ | * Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie – Einleitung/ | ||
+ | * Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Frankfurt/ | ||
+ | * Reinhard Marx, Das Kapital – Ein Plädoyer für den Menschen. München 2008. (Der Brief an Karl Marx online: http:// | ||
+ | * Radio Vatikan, Papstbotschaft an Weltwirtschaftsforum in Davos. 20.1.2016. Online: http:// | ||
+ | * Johannes Schillo, Kirche und Faschismus. In: Erwachsenenbildung, | ||
+ | * Franz Segbers/ | ||
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+ | ===== Mai ===== | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 2 ==== | ||
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+ | Zur jüngsten Marx-Renaissance, | ||
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+ | Noch vor 50 Jahren war Marx in der Bundesrepublik ein totales Tabuthema. Staatliche Agenturen wie die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), die die Bevölkerung gegen das „Gift“ des Marxismus-Leninismus immunisieren sollten, kümmerten sich darum, dass keiner auf falsche Ideen kam. Antikommunismus war Staatsdoktrin (vgl. Hentges 2013, Schillo 2015), die Absage an Marx (und Engels) dabei ein Unterpunkt. Während des Kalten Kriegs galt Marx im Westen als Begründer eines dogmatischen philosophischen Systems, dessen Konsequenzen sich in Theorie und Praxis als „extrem monistisch“ und „extrem totalitär“ erwiesen (Bocheński/ | ||
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+ | Anno Domini 2017 ist alles anders. Zum 150. Jubiläum der Erstausgabe des „Kapital“, | ||
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+ | **Marx für „Kurzreisende“** | ||
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+ | Michael Quante, Mitherausgeber des neuen „Marx-Handbuchs“ (vgl. IVA-Redaktion, | ||
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+ | Im „Marx-Handbuch“ hatten Quante und sein Mitherausgeber David P. Schweikard bereits deutlich gemacht, worin „die ungebrochene Aktualität des Denkens von Karl Marx“ (Quante/ | ||
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+ | Quante will in seinem APuZ-Beitrag für „Kurzreisende“ einige „zentrale Theoriebausteine“ präsentieren und konzentriert sich dazu auf die Kritik der politischen Ökonomie, hält aber gleich fest: „Sie ist eine kritische Sozialphilosophie und keine ökonomische Theorie im Sinne einer empirischen Einzelwissenschaft. Entgegen einem bis heute weit verbreiteten Missverständnis gilt es, den genuin philosophischen Charakter der marxschen Konzeption zu erkennen und anzuerkennen“ (Quante 2017, 4). Dazu bietet Quante eine Reihe von Zitaten aus dem „Kapital“, | ||
+ | |||
+ | Eins ist Quante klar: „Die Kritik der politischen Ökonomie von Marx ist keine Gerechtigkeitstheorie.“ (Ebd., 9) Das heißt, die kapitalistische Produktionsweise ist nicht damit zu kritisieren, | ||
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+ | **Marx als Mensch** | ||
+ | |||
+ | Der Inszenierung des Jubiläums entsprechend müssen natürlich auch die biographischen Hinter- und Abgründe gewürdigt werden. Die meisten Veröffentlichungen bringen einen Abriss des Lebens mit allen Höhen und Tiefen, Schwachheiten und Stärken des Jubilars. Z.B. hält es Ingrid Artus in ihrer Einführungsschrift (siehe „Marx is back, Vol. 1“) für notwendig, dem Leser auch den Menschen Marx vorzustellen, | ||
+ | |||
+ | Es ist indes äußerst gewagt, sich für die Entscheidung zum biographischen Vorgehen auf Marx zu berufen. Marx, der sich mit Adam Smith, David Ricardo und zahllosen anderen Theoretikern aus Ökonomie oder Philosophie auseinandersetzte, | ||
+ | |||
+ | In ihrem einleitenden Beitrag zu dem genannten Sammelband bietet Artus ein Porträt von Marx, das Stationen von Leben und Werk Revue passieren lässt und sich auch dem Privat-, z.B. Familienleben des Theoretikers zuwendet. Die Autorin hat dazu keine eigenen Forschungen angestellt, sie bezieht sich u.a. auf Eva Weissweilers Biographie der Lieblingstochter von Marx (Weissweiler 2002) und behandelt dieses Buch als seriöse Auskunftsquelle. Das ist erstaunlich! Die Biographie „Tussy Marx“ ist erkennbar gegen Marx als Person geschrieben. Sie will, so die Ankündigung des Klappentextes, | ||
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+ | Mit der Entscheidung zur Biographie ist klargestellt, | ||
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+ | Marxens Judentum ist aber auch für andere Erklärungen gut. Fritz Erik Hoevels, selber Psychoanalytiker, | ||
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+ | **Das Letzte** | ||
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+ | Übrigens, 2017 ist nicht nur Marx-, sondern auch Ludwig-Erhard-Jahr. Die Konrad-Adenauer-Stiftung informiert: „120. Geburtstag am 4. Februar, 40. Todestag am 5. Mai, sein Opus magnum ‚Wohlstand für Alle‘ erschien vor 60 Jahren, 70 Jahre sind seit der Gründung der ‚Sonderstelle Geld und Kredit‘ vergangen, die unter Erhards Vorsitz an einer neuen deutschen Währung mitarbeitete. Währungs- und Wirtschaftsreform 1948, das daraus folgende Wirtschaftswunder und die Verankerung der Sozialen Marktwirtschaft bleiben untrennbar mit seinem Namen verbunden.“ | ||
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+ | Ein Sonderheft der Stiftungs-Zeitschrift „Die Politische Meinung“ zum Erhard-Jubiläum (u.a. mit einem Beitrag von Finanzminister Schäuble) ist seit dem 5. Mai 2017 erhältlich. Online: [[http:// | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Ingrid Artus u.a., Marx für SozialwissenschaftlerInnen – Eine Einführung. Wiesbaden 2014. | ||
+ | * Joseph M. Bocheński/ | ||
+ | * Gudrun Hentges, Staat und politische Bildung – Von der „Zentrale für Heimatdienst“ zur „Bundeszentrale für politische Bildung“. Wiesbaden 2013. | ||
+ | * Fritz Erik Hoevels, Wie unrecht hatte Marx wirklich? Band I: Gesellschaft und Wirtschaft. Freiburg 2009. | ||
+ | * Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859). Marx-Engels Werke, Band 13. Berlin 1981 (zit. als MEW 13). | ||
+ | * Karl Marx, Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. In: Marx-Engels-Werke, | ||
+ | * Karl Marx/ | ||
+ | * Michael Quante, A TRAVELLER’S GUIDE – Karl Marx’ Programm einer Kritik der politischen Ökonomie. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Nr. 19-20, 2017, S. 4-9. | ||
+ | * Michael Quante/ | ||
+ | * Johannes Schillo, Antimarxismus heute. In: J.S. (Hg.), Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie, Hamburg 2015, S. 87-129. | ||
+ | * Günter Schulte, Kennen Sie Marx? Frankfurt/ | ||
+ | * Eva Weissweiler, | ||
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+ | **Materialien und Quellen** | ||
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+ | // | ||
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+ | //Marx in der DDR// – [[http:// | ||
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+ | ===== April ===== | ||
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+ | ==== „Marx is back“, Vol. 1 ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Tja, er ist wieder da, wieder hier… Weil die Öffentlichkeit den Brauch der runden Jahreszahlen pflegt – 150 Jahre „Das Kapital“, nächstes Jahr der 200. Geburtstag –, kommt man an dem alten Rauschebart in Medien und Kulturbetrieb kaum noch vorbei. Zur jüngsten „Marx-Renaissance“ einige Hinweise der IVA-Redaktion. | ||
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+ | Seit dem Ende des Adenauerstaats, | ||
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+ | Die Zeitschrift // | ||
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+ | Die entscheidenden Punkte zur bürgerlichen Marx-Renaissance kann man in dem genannten Artikel nachlesen, sie sind nicht veraltet. Im Folgenden soll es Hinweise auf Vorgänge oder Veröffentlichungen geben, die für eine Auseinandersetzung mit der verdrängten Theorie heute von Interesse sein dürften. Die Informationen werden bei Bedarf fortgesetzt. | ||
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+ | **Die Aktualität der Theorie** | ||
+ | |||
+ | Aus dem IVA-Kreis war 2015 der Sammelband „Zurück zum Original“ (Schillo 2015) hervorgegangen, | ||
+ | |||
+ | Im Wissenschaftsbetrieb gibt es allerdings auch – hier und da – den Nachdruck darauf, dass die Kritik der politischen Ökonomie ernst zu nehmen und die von ihr gelieferten Erklärungen auf den aktuellen, krisenhaften Weltkapitalismus zu beziehen sind. So referiert Michael Heinrich im neuen Marx-Handbuch (Quante/ | ||
+ | |||
+ | Eins fällt jedoch gleich auf: Heinrichs Beiträge sind eher ein Fremdkörper in dem Handbuch. Dessen Intention ist es, wie die Herausgeber eingangs festhalten, „das Werk von Karl Marx ... als primär philosophisches Programm“ aufzufassen (ebd., V). Solche Prämissen leisten sich die beiden verantwortlichen Wissenschaftler, | ||
+ | |||
+ | Die Einführung „für SozialwissenschaftlerInnen“ von der Politologin Ingrid Artus u.a. (2014) leistet sich einen ähnlichen Spagat. Auch diese Schrift zu Marx „reiht sich“, wie es in der Einleitung heißt, „ein in die Renaissance seiner Kritik der politischen Ökonomie“ (Artus 2014, 2). Eine solche Wiederaneignung sei wichtig, denn speziell in der Scientific Community habe man bis vor Kurzem den Marxismus „ins Reich der Legenden und der ‚unwissenschaftlichen‘, | ||
+ | |||
+ | Dazu will die Einführungsschrift „weitgehend unstrittiges Grundlagenwissen“ präsentieren „und zugleich auf mögliche verschiedene Lesarten von Marx aufmerksam … machen“ (ebd.). Mit dem letzten Punkt deutet sich bereits an, dass es mit der Kenntnisnahme und Überprüfung einer Theorie nicht getan ist, sondern dass sich hermeneutische oder sonstige Probleme einer wissenschaftlichen Einordnung stellen. Auf der einen Seite konzentriert sich der Band zwar auf die Kritik der politischen Ökonomie. Zentral sind die drei Beiträge von Oliver Nachtwey, Alexandra Krause und Florian Butollo, die in die politökonomische Theorie einführen – ähnlich wie Heinrich das unternimmt, nur nicht von der Gliederung des „Kapital“ ausgehend, sondern jeweils von speziellen Themenstellungen (Lohnarbeit, | ||
+ | |||
+ | Ähnliche Relativierungen der ökonomischen Kritik findet man auch da, wo ausdrücklich darauf bestanden wird, dass Marx mit seiner Analyse Recht hatte (vgl. Altvater 2015, Reheis 2016). Die Hochschullehrer Elmar Altvater oder Fritz Reheis lassen eine solche Position etwa in ihren Einführungen erkennen. Beide geben einen orientierenden Einstieg in die Analyse des „Kapital“ und handeln von dieser Theorie als der entscheidenden Leistung, die heute wieder in Erinnerung gebracht werden sollte. Denn, so der Tenor, sie vermag eine triftige Erklärung zur Lage der globalisierten Marktwirtschaft beizusteuern. Beide Autoren folgen aber nicht – wie Heinrich in seinem Aufriss – dem Argumentationsgang der drei Bände, sondern machen nach wenigen Kapiteln den Absprung in andere Gefilde, nicht unbedingt in philosophische Problemstellungen, | ||
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+ | Der // | ||
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+ | Wie der Durchgang durch die exemplarischen Positionen zeigt, steht die aktuelle Marx-Rezeption „ganz in der Tradition des bürgerlichen wissenschaftlichen Betriebs, der es sich von Anbeginn nicht hat nehmen lassen, Marx unter dem Gesichtspunkt seiner Brauchbarkeit für Theorie und Praxis des kapitalistischen Ladens in Anspruch zu nehmen“ (ebd., 93). Über die Wissenschaftler heißt es: „Sie tun Marx die zweifelhafte Ehre an, Marx als einen der ihren zu nehmen“ (ebd., 94), d.h. prüfen ihn in ökonomischer Hinsicht darauf, ob sich mit seinem Wertgesetz Gleichgewichtsmodelle der Volkswirtschaft verbessern und Messgrößen daraus ableiten lassen; oder messen seine Erklärung der Klassen soziologisch an dem Ideal einer Beförderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. In beiden Fällen ist bei Marx eindeutiges Theorieversagen zu konstatieren. Die andere Variante, bei ihm begrenzte Einsichten und Befunde aufzufinden, | ||
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+ | Wer übrigens eine Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie sucht oder sich überhaupt die Frage stellt, warum er etwas von Marx lesen sollte, kann dazu auf Vorträge von Freerk Huisken, ehemals Professor für Politische Ökonomie des Bildungswesens an der Universität Bremen, zugreifen. Huisken hat Anfang 2017 in der Universität Bielefeld einen Vortrag „150 Jahre ‚Das Kapital‘ von Karl Marx“ gehalten. Diese aktuelle Veranstaltung, | ||
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+ | **Literatur** | ||
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+ | * Elmar Altvater, Marx neu entdecken – Das hellblaue Bändchen zur Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie. 2. Aufl., Hamburg 2015. | ||
+ | * Ingrid Artus u.a., Marx für SozialwissenschaftlerInnen – Eine Einführung. Wiesbaden 2014. | ||
+ | * F. Bernhardt/ | ||
+ | * Peter Decker (und Redaktionskollektiv), | ||
+ | * Karl Held (und Redaktionskollektiv), | ||
+ | * Karl Marx, Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. In: Marx Engels Werke, Band 23, Berlin 1977 (zit. als MEW 23). | ||
+ | * Ernst Theodor Mohl u.a., Folgen einer Theorie – Essays über ‚Das Kapital‘ von Karl Marx. Frankfurt/ | ||
+ | * Oswald von Nell-Breuning, | ||
+ | * Michael Quante/ | ||
+ | * Fritz Reheis, Wo Marx Recht hat. 3. Aufl., Darmstadt 2016. | ||
+ | * Johannes Schillo (Hg.), Zurück zum Original – Zur Aktualität der Marxschen Theorie. Hamburg 2015. | ||
+ | * Johannes Schillo, Marx ist wieder da! Zur Aktualität einer verdrängten Theorie. In: Auswege-Magazin, | ||
+ | * Georg Schuster, Bücher für die Flughafenbuchhandlung? | ||
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+ | **Internet** | ||
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+ | 150 Jahre //Das Kapital// – //Das Kapital// in der Kritik: [[https:// | ||
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+ | ===== März ===== | ||
+ | ==== „Die globale Ordnung aktiv mitgestalten“ ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | 2016 ist das neue Weißbuch der Bundeswehr erschienen, mit dem die Bundesregierung – nach zehn Jahren Pause – die Reihe ihrer sicherheitspolitischen Selbstdarstellungen fortsetzt. Die Zeitschrift // | ||
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+ | Verteidigungsministerin von der Leyen legte der Öffentlichkeit am 13. Juli 2016 das Weißbuch 2016 der Bundesregierung vor, nachdem zuvor das Bundeskabinett das oberste deutsche Grundlagendokument zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr beschlossen hatte (verfügbar auf der Website des Verteidigungsministeriums, | ||
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+ | Mit der internationalen Partnerschaft ist das allerdings so eine Sache, speziell seitdem in den USA der neue Präsident regiert. Das zeigte sich bereits Ende 2016, kurz nach der Wahl. //Russia Today// kommentierte: | ||
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+ | === „Der bessere Imperialist“ === | ||
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+ | Theo Wentzke, Redakteur der marxistischen Zeitschrift // | ||
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+ | Die Allianz, die NATO unter Führung der USA, ist – bislang – die Grundlage der deutschen Militärmacht und erlaubt es dieser, permanent über ihre Verhältnisse zu leben, z.B. in der Ukraine eine Konfrontation aufzumachen, | ||
+ | |||
+ | Die Frage danach, ob und inwiefern man es hier mit einem imperialistischen Anspruch zu tun hat, ist der Ausgangspunkt der Analyse. Sie verweist für ihr Urteil nicht auf die Machenschaften von Monopolkapital oder militärisch-industriellen Komplexen, die als Kriegstreiber im Hintergrund der offiziellen Politik zu vermuten wären, sondern nimmt deren Anspruchshaltung beim Wort. Das Stichwort lautet „Abhängigkeit“. Damit bezeichnen die Weißbuch-Autoren die Tatsache, dass eine weltweit engagierte kapitalistische Nation, die erfolgreich andere Länder für Handelsgeschäfte, | ||
+ | |||
+ | Das NATO-Bündnis versteht und präsentiert sich als Wertegemeinschaft. Mit dieser Idealisierung wird von dessen Machern nicht einfach geleugnet, dass es den beteiligten Kapitalstandorten um materielle Werte geht, die sie sich im auswärtigen wirtschaftlichen Verkehr anzueignen versuchen. Auf diese Weise wird vielmehr der grundlegende Sachverhalt ausgedrückt, | ||
+ | |||
+ | Der sicherheitspolitische Dienst an der supranationalen Ordnung ist selbstverständlich kein selbstloser Einsatz um der Ordnung willen, sondern kennt ein interessiertes Subjekt, einen Urheber, nämlich die USA, die auf die Benutzung der Welt aus sind und denen sich wiederum die Mitmacher, darunter die BRD an prominenter Stelle, zuordnen. Der Zusammenschluss der Mitglieder hat seine historischen Gründe – als Ergebnis von Weltkrieg Nr. 2 und des Eintritts in einen Kalten Krieg – und einen aktuellen Verlauf, der aus dem Erfolg beim Niederringen des Gegners mittlerweile eine prekäre Situation, nämlich die Infragestellung der seltsam dauerhaften Einheit eines imperialistischen Kollektivs gemacht hat. Der Zersetzungsprozess, | ||
+ | |||
+ | === Die besserungsbedürftige Schutzmacht === | ||
+ | |||
+ | Die Bundesregierung konstatiert in dem Weißbuch aus sicherheitspolitischer Warte – aber noch vor der jüngsten Verunsicherung, | ||
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+ | Die // | ||
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+ | „Ihrer selbstgestellten Aufgabe, die Ablehnung gegen den Krieg argumentativ zu unterfüttern, | ||
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+ | Dass die Kosten der Rüstungsgüter, | ||
+ | |||
+ | Das zeigt sich auch im Schlussteil des Schwarzbuchs. Er führt die – noch – gültige Grundsatzposition der Linken aus dem Erfurter Programm an, in dem die Partei für „Gewaltfreiheit“ und die „Idee des gerechten Friedens“ eintritt; dem folgen knapp 20 Positionsbestimmungen oder Forderungen, | ||
+ | |||
+ | Die letzte Forderung bzw. Feststellung des Schwarzbuch-Katalogs lautet: „Zur Bekämpfung von Konfliktursachen ist eine solidarische Weltwirtschaftsordnung unabdingbar, | ||
+ | |||
+ | Mit Trump ändert sich jetzt die NATO, was aber nicht heißt, dass die oben vorgestellt Analyse über den „besseren Imperialisten“ revidiert werden müsste. „Die Wahl Trumps wird genutzt“, schrieb die //UZ// (Landefeld 2016), „um die in der BRD anstehende massive Erhöhung der Rüstungsausgaben als ‚Festhalten an den Werten und Prinzipien‘ des Westens zu verklären“. Dem ist insofern zuzustimmen, | ||
+ | |||
+ | Andere Kritiker bemängeln die vom Weißbuch vorgenommene Sortierung in Problemstaaten und Problemfälle, | ||
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+ | |||
+ | === Literatur === | ||
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+ | * Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz 2017, Aufruf: Frieden statt NATO, Nein zum Krieg, online: www.sicherheitskonferenz.de. | ||
+ | * Christine Buchholz, Katrin Kunert, Alexander Neu, Ein Weißbuch für Aufrüstung und Krieg – Stellungnahme der AG Sicherheitspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE zum Weißbuch 2016. 13. Juli 2016, https:// | ||
+ | * Peter Decker u.a., Anmerkungen zum „Weißbuch 2016 Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ – Anspruch und Drangsale des deutschen Imperialismus. In: Gegenstandpunkt, | ||
+ | * Anne Geschonneck, | ||
+ | * Lühr Henken, Das neue Weißbuch 2016. Bundesausschuss Friedensratschlag, | ||
+ | * Beate Landefeld, Imperialistische Widersprüche in der EU – Militarisierung findet auch künftig im Rahmen der NATO statt. In: Unsere Zeit, 9.12.2016. | ||
+ | * Thomas Reinhold, Die Bundeswehr zieht ins Cyberfeld. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 7, 2016, S. 17-20. | ||
+ | * RLS, Schwarzbuch – Kritisches Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr. Herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Berlin 2016. Bezug: RLS, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Download: kurzlink.de/ | ||
+ | * Paul Schäfer (Hrsg.), In einer aus den Fugen geratenden Welt – Linke Außenpolitik: | ||
+ | * Andreas Seifert, Bittere Pille für den Frieden? Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr. In: Ausdruck, hg. von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Nr. 4, 2016, S.10-13. Online: http:// | ||
+ | * Weißbuch 2016 – Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Hg. vom Bundesministerium der Verteidigung, | ||
+ | * Theo Wentzke, Der bessere Imperialist. In: Junge Welt, 9.2.2017, S. 12-13, online: https:// | ||
+ | * Sabrina Zimmermann, Linke Außenpolitik. IVA-Website, | ||
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+ | ==== Das rechte Weltbild: Beispiel FPÖ ==== | ||
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+ | <WRAP center round box 90%> | ||
+ | Im März 2017 ist das Buch „Die FPÖ – Blaupause der neuen Rechten in Europa“ von Herbert Auinger erschienen, der bereits 2000 ein Porträt des ehemaligen FPÖ-Frontmanns Jörg Haider veröffentlichte. Zu der Neuerscheinung eine Information der IVA-Redaktion. | ||
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+ | Üble Nachrede erfahren die rechten Bewegungen und Parteien in Europa zuhauf. Von „Wut-“ und „Furchtbürgern“, | ||
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+ | Die // | ||
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+ | === Das Beispiel FPÖ === | ||
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+ | Der österreichische Publizist Herbert Auinger widmete 2000 Jörg Haider, dem ehemaligen Frontmann der „Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ)“, eine Veröffentlichung, | ||
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+ | Auinger wollte damit natürlich keine Entwarnung geben. Im Gegenteil. Seine Analyse zielte auf den Tatbestand, der in den Anti-Haider-Protesten kaum ins Blickfeld geriet, dass nämlich das Liebäugeln mit faschistischer Politik wie das kernige Bekenntnis zu ihren Idealen – also die spezielle Profilierungskunst des flotten Jörgl – mitten im demokratischen Betrieb ihren Platz finden. An Haider, so Auingers Hauptthese, hätte einem etwas ganz anderes auffallen können als die ewig beschworene Gefahr, der Demokratie drohe das feindliche Zersetzungswerk einer von außen kommenden faschistischen Unterwanderung: | ||
+ | |||
+ | Auingers Streitschrift analysierte die Gemeinsamkeiten, | ||
+ | |||
+ | Zu dieser (proto-)typischen europäischen Rechtspartei hat Auinger Anfang März 2017 seine Analyse „Die FPÖ – Blaupause der neuen Rechten in Europa“ vorgelegt. Wiederum wird hier nicht das gängige Verfahren praktiziert, | ||
+ | |||
+ | In den einzelnen Kapiteln geht es etwa um den Freiheitsbegriff der FPÖ, um die „Dreieinigkeit“ der angeblich natürlichen Daseinsformen von Volk, Nation und Familie sowie um das Begriffspaar „Heimat“ und „Identität“, | ||
+ | |||
+ | Bei Auinger wird also nicht das Problem verhandelt, in welche politologische (Unter-)Kategorie man die österreichische Rechtspartei einsortieren soll – ob sie eher zum „ethno-nationalistischen“ oder „zum national-liberalen Typ“ des Populismus gehört, wie Karin Priester (2016, 547) abwägt, ob Populismus erst dann vorliegt, wenn der „moralische Alleinvertretungsanspruch“ (Müller 2016, 28) erhoben wird, ob die FPÖ eher als Fall einer „Männerpartei“ (Geden 2004) zu betrachten ist oder ob man von einem komplexen „Oszillieren des österreichischen modernen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus“ sprechen muss (Dworczak 2006, 86). Es geht natürlich auch nicht darum, als eigentlichen Kern des Rechtspopulismus einen sozialen Protest auszumachen, | ||
+ | |||
+ | Auingers Analyse geht, logischer Weise, vom Freiheitsbegriff der Freiheitlichen aus. Diese fügen, wie jeder Befürworter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch, dem Lob der Freiheit gleich deren grundsätzliche Einschränkung an – um schrankenlose Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung darf es ja keinesfalls gehen. Auf diese Weise würde nur das zersetzende Werk des „kulturellen Marxismus“ fortgesetzt, | ||
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+ | Das leitet zum vierten Kapitel über, in dem die Fremdheit der Anderen in umgekehrter Richtung, nämlich von der Eigenheit der Eingeborenen ausgehend, zum Thema wird: Sprache, Kultur (inklusive Religion) und Geschichte sollen ja das Kollektiv so zusammengeschweißt haben, dass seine Mitglieder eine unverwechselbare, | ||
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+ | Das sechste und das siebte Kapitel („Rechter Tugendterror“, | ||
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+ | Es kommen also auch die Besonderheiten des österreichischen EU-Kleinstaates zur Sprache. Hier gibt es ja, wie Kommentatoren nüchtern konstatieren, | ||
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+ | === Literatur === | ||
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+ | * Herbert Auinger, Haider – Nachrede auf einen bürgerlichen Politiker. Wien 2000. | ||
+ | * Herbert Auinger, Die FPÖ – Blaupause der neuen Rechten in Europa. Wien 2017. | ||
+ | * Joachim Bischoff/ | ||
+ | * Hermann Dworczak, Modernisierter Rechtsextremismus und Rechtspopulismus am Beispiel Österreichs. In: Peter Bathke/ | ||
+ | * Oliver Geden, Männerparteien – Geschlechterpolitische Strategien im österreichischen und schweizerischen Rechtspopulismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte – Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. 46, 2004, online: http:// | ||
+ | * Rolf Gloël/ | ||
+ | * Rolf Gloël/ | ||
+ | * Rolf Gutte/ | ||
+ | * Claus Heinrich, Österreich: | ||
+ | * Freerk Huisken, Der demokratische Schoß ist fruchtbar… Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus. Hamburg 2012. | ||
+ | * Georg Loidolt, Vom Nutzen und Nachteil des Faschismus für die Demokratie. Wien 2013, Vertrieb über www.amazon.de. | ||
+ | * Jan-Werner Müller, Populismus – Symptom einer Krise der politischen Repräsentation? | ||
+ | * Karin Priester, Rechtspopulismus – ein umstrittenes theoretisches und politisches Phänomen. In: Fabian Virchow u.a. (Hg.), Handbuch Rechtsextremismus, | ||
+ | * Andreas Speit, Bürgerliche Scharfmacher – Deutschlands neue rechte Mitte. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 10033, Bonn 2017. | ||
+ | * Carsten Weikamp, Die Auseinandersetzung mit der AfD: meist hohl und damit ungenügend. Deshalb hier ein Versuch der inhaltlichen Auseinandersetzung. Nachdenkseiten, | ||
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